Hundert Jahre Einsamkeit. So wird unser Leben als Eltern sein. So jedenfalls habe ich es mir nach all den Warnungen anderer Eltern vorgestellt. Man wird keine Freunde mehr haben. Einerseits, weil man mit Kinder einfach andere Themen und einen konträren Lebensrhythmus hat. Andererseits wird man von seinen Kindern so in Beschlag genommen, dass man, selbst wenn man noch welche hätte, zu kraftlos ist, um mit den verbliebenen Freunden etwas zu unternehmen. Hundert Jahre Einsamkeit. Und jetzt das: Ich bin am Kleider- und Spielzeugflohmarkt in Bergen, eingezwängt zwischen hundert wild gewordenen Schwangeren und einer Handvoll zutiefst eingeschüchterter Papas und wünsche mir nichts sehnlicher als hundert Jahre Einsamkeit.
Nein, man ist nicht allein, wenn man Kinder hat oder schwanger ist. Diese Erfahrung macht jeder spätestens beim ersten Kleiderflohmarkt. Meine erste, auf immer unvergessliche, machte ich beim Kinderkleiderflohmarkt Surberg. Schwangere und ihre Partner, so hieß es, hätten bereits eine Stunde vorher Einlass. Trotzdem bildete sich bereits eine lange Schlange von mit den Hufen scharrenden Frauen vor der Turnhalle. Jede zweite hatte einen mehr oder weniger dicken Bauch. Die andere Hälfte waren wohl die Omas, Schwiegermütter oder beste Freundinnen, die ebenfalls vom früheren Einlass profitieren wollten. Papas waren kaum darunter. Fünf Minuten später wusste ich, warum. Punkt 18 Uhr ging die Eingangstür auf und die Mitarbeiterinnen in Deckung. Wie auf einer Stampede zwängten sich die Schwangeren aufgeregt in die Turnhalle und rissen alles an sich, was halbwegs brauchbar oder preisgünstig erschien. Ich hätte gewarnt sein müssen.
Der Kinderkleiderflohmarkt in Bergen ist der Beste im Landkreis, heißt es. Bereits auf dem Weg in die Trachtenhalle gibt es kaum freie Parkplätze. Wieder hetzen Schwangere die, wie wir, fünf Minuten zu spät dran sind, hypernervös Richtung Halle.
Drin angekommen ein Lärmpegel wie im Bierzelt und ein Gedränge wie auf dem Oktoberfest. Wieder sind nur Schwangere mit Begleitung und ihren Kindern dort. Die Kinder spielen zwischen den Kleiderständern verstecken, die Mütter walzen von Wühltisch und Wühltisch und reißen alles an sich, was verwertbar aussieht. Ich muss immer wieder an die sieben biblischen Plagen denken und als ich aus meinen Gedanken aufschrecke, weil mich zwei Frauen beiseite drücken, finde ich meine Frau nicht mehr. Ich laufe durch die Halle und suche sie und auf einmal muss ich an den Roots Club denken. Dort sind wir vor fünfzehn Jahren immer fortgegangen. Es war genauso eng und, wie ich mir die Mütter genauer anschaue, waren es auch dieselben Leute. Auch damals bin ich immer im Kreis gelaufen und war immer auf der Suche nach meiner oder einer Frau. Der einzige Unterschied ist, dass damals die Mädchen noch nicht alle schwanger waren und wenn, dann erst am Morgen danach.
Ich gehe nach oben an die Bar. Auch hier ist es wie im Roots Club. Man muss lange anstehen und die Barkeeperin, die ein T-Shirt mit der Aufschrift "Wühlmäuse bei der Arbeit" trägt, auf sich aufmerksam machen. Ich lade ein hübsches Mädchen auf einen Cuba Libre ein. Da es keinen gibt, begnüge ich mich mit Kaffee und Kuchen. Das hübsche Mädchen ist, wie sich bald herausstellt, schwanger. Welche Überraschung. Und sie ist verheiratet. Mit mir!
Sie beklagt sich, dass ihr ein Schwangerschafts-BH direkt vor der Nase weggerissen wurde. Tja, so läuft es halt auf dem Kinderkleiderflohmarkt. Manchmal verliert man, manchmal gewinnen die anderen.
Als wir an der langen Schlange der Kasse stehen, ist es wieder so wie früher, als wir auf den Einlass im Roots Club warteten. Und auf einmal kommen Steffi und Sabrina herein, beide habe ich das
letzte Mal vor Jahren, wahrscheinlich im Roots Club gesehen und auf einmal ist es ganz schön, statt hundert Jahre Einsamkeit, jetzt die alten Freunde von früher auf Kinderflohmärkten zu
treffen.
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