In Traunstein sind wegen des Schneefalls seit einer Woche alle Schulen geschlossen. Der Katastrophenalarm wurde ausgelöst. Im Elterntagebuch wurde ja schon oft der "Katastrophenalarm" bezüglich meiner Kinder ausgelöst. Diesmal ist die Lage allerdings ernster. Außer man ist ein Kind. Die erleben gerade den schönsten Winter ihres Lebens.
"Endlich hat es mal gscheit geschneit!", war unser erster Gedanke, als der Wintereinbruch Traunstein erreichte. Schlittenfahren, Iglu bauen, Schneemann bauen.
Blöderweise hörte es nicht mehr auf zu schneien. Als diesen Montag die Schulen in ganz Traunstein geschlossen waren, herrschte noch überall Jubelstimmung. Ich nahm Bastian mit in die Arbeit und es flogen unter viel Gelächter Papierflieger ins BiZ runter.
Die Nachricht, dass die Schulen bis Ende der Woche geschlossen bleiben sollten, hinterließ schon längere Gesichter. Es folgten weiterer Schneefall, Katastrophenalarm und unfreiwillige Verlängerung der Weihnachtsferien um - Stand heute - eineinhalb Wochen.
Panik begann sich breit zu machen: Wohin mit dem Schnee? Wohin mit den Kindern? Es blieb uns Eltern nichts anderes übrig, als Telearbeit zu nutzen und schließlich Urlaub zu nehmen, um der Schneemassen Herr zu werden. Äh, auf die Kinder aufzupassen natürlich.
Seit Tagen sind die Autos im Schnee versunken und die Garageneinfahrt hat sich in einen meterhohen Berg verwandelt, in dem sich Bastian ein Iglu gebaut hat. "Hier drin können wir jetzt den ganzen Winter über wohnen, Papa!", verkündete er stolz.
Auch mit dem Auto ist es dieser Tage kaum möglich, in der Stadt vorwärts zu kommen. Seltsamerweise sind die Straßen erst ab Ortsschild Traunstein von Schneemassen bedeckt. Der Winter hält sich auch regional exakt an den Katastrophenalarm!
So blieb uns nichts anderes übrig, als mit dem Schlitten die überfälligen Hamstereinkäufe zu erledigen. Da die ersten Supermärkte wegen Einsturzgefahr geschlossen blieben, leerten sich in den restlichen Supermärkten sichtbar die Regale.
Loni saß auf dem Rückweg auf dem Schlitten, um auf die Einkaufstüte aufzupassen. Irgendwie zog ich den Schlitten allerdings so schusselig, dass alle paar Meter der Loni oder die Tüte vom Schlitten fiel. Meist merkte ich es erst Sekunden später und der schneebedeckte Loni schimpfte empört. Am schwierigsten war die Überquerung der Chiemseestraße, die - Katastrophenalarm hin oder her - stark befahren war. Stehenbleiben oder Bremsen konnten die Autos natürlich nicht - sonst wären sie vielleicht an Ort und Stelle eingeschneit worden. Also nutzten wir eine knappe Lücke und sprinteten über die Straße.
Auf der anderen Seite merkte ich, dass ich wieder einen leeren Schlitten zog. Loni und Tüte und Einkaufsprodukte lagen auf der Straße...
Als wir unseren Weg fortsetzen konnten, kam mir ein Schlittenschieber entgegen, der zwei Kasten Bier transportierte... Realität in Traunstein!
Gestern halfen mir die Kinder brav, die beiden Autos auszubuddeln. Unter dem riesigen Schneehaufen konnten wir tatsächlich eines finden! Die Kinder kratzten mit vollem Einsatz mit ihren Schneeschaufeln die Autos frei. Dann bauten sie auf dem entstandenen Schneehaufen ein Lager und schmissen den Schnee-Aushub wieder zurück auf das Auto hinauf. Beim erneuten Ausgraben zerstörte ich sage und schreibe zwei (!!!) Schneeschaufeln. Mit dem befreiten Auto fuhr ich also sofort zum Hagebaumarkt. Dort schaute man mich traurig an und verkündete: "Es gibt keine Schneeschaufeln mehr. Es gibt im gesamten Landkreis KEINE SCHNEESCHAUFELN mehr!" Was es noch gab, waren Kinderschneeschaufeln. Also nahm ich halt von denen eine Ladung mit!
Freunde-Besuche der Kinder schauen dieser Tage so aus: Wie Heinrich Harrer auf seinem Weg durch Tibet kämpfen wir uns eine Dreiviertelstunde durch die Stadt. Dabei kann es passieren, dass ein gut geräumter Gehsteig vor einem riesigen Schneeberg endet. Da alle Fußspuren auf den Haufen hinauf führen, erklettert man selbst den Berg, genießt kurz die Aussicht und setzt auf der anderen Seite den Marsch auf dem gut geräumten Gehsteig wieder fort.
Das Kind wird abgeliefert und die Expedition durch den Schnee zurück wird angetreten.
Zwei Stunden später begibt man sich erneut auf den Marsch ins Unbekannte, um das Kind wieder abzuholen.
Nachdem man fast zwei Stunden durch die Stadt gewandert ist, die Schuhe bis auf die Socken nass vom Schneematsch, die Glieder taub vom Schneeschaufeln, beschwert sich das Kind auch noch, dass niemand mit ihm Schneeballschlacht machen will...
Die Kinder erleben den ersten richtigen Winter ihres Lebens. Schneewände so hoch, dass sie nicht mehr drüber hinwegschauen können, riesige Iglus, rote Bäckchen. Selten habe ich die Kleinen so glücklich gesehen wie nach einer Stunde draußen im Schnee.
Noch drei Tage Schulfrei. Der Wetterdienst hat eine weitere Unwetterwarnung ausgegeben. Wir haben keine Ahnung, wie wir die Kinder die nächsten Tage unterbringen sollen. Ins Gericht mitnehmen? Zur Teamsitzung mitnehmen? Und es schneit weiter. Und schneit. Und schneit...
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