Unser Vierjähriger hat zu unserem großen Schrecken die vermutlich bahnbrechendste Entdeckung gemacht, die es in diesem Alter überhaupt gibt. Er hat begriffen, dass seine Erziehungsberechtigten, also wir, in der Nacht schlafen. Und – und das vervollständigt diesen Kolumbus-Moment – dass schlafende Eltern nichts verbieten können.
In anderen Worten: Unser Loni hat die süße, große Freiheit der Nacht für sich entdeckt und brauchte dafür nicht, wie gehofft, mindestens sechzehn Jahre.
Kinder testen ihre Grenzen aus. Na und? Davor muss natürlich erklärt werden, dass es einerseits eher sozial angepasste Kinder gibt, die ihren Eltern gefallen wollen und sich darum bemühen, deren Wünschen gerecht zu werden. Und dann gibt es da noch… unsere Kinder.
Und es gibt unseren Loni, der so ziemlich das genaue Gegenteil von ersterer Gruppe ist. Das ist nicht schön für uns, aber für ihn ist es noch schlimmer. Denn ihm tut ein „Nein“ körperlich weh. Das ist keine Übertreibung! Wenn er sich etwas in seinen kreativen Kopf gesetzt hat, dann hält er ein „Nein!“ nicht aus. Es beginnt, ihn überall zu jucken, die Beine schmerzen und in kürzester Zeit wird aus Enttäuschung über das Nein ein schmerzgeplagtes Schreien. Wann sowas vorkommt? Lasst mich überlegen: Wir bitten ihn, um halb sieben aufzustehen. Das heißt, es passiert meist ein erstes Mal um… Halb sieben!
Es ist aber auch echt ein Kreuz mit uns Eltern. Der Kleine darf Mitte Oktober nicht in kurzen Hosen in die Kita. Er kriegt jeden Tag kein Schoko-Crossaint. Er darf statt zu Frühstücken nicht in den Spielekeller und er darf weder Trödeln noch sich nicht alleine anziehen wollen. Verbote, Verbote, Verbote wo man hinschaut!
Und nun hat er also gemerkt, dass wir Eltern teilweise um zehn schon so übermüdet sind, dass wir eingeschlafen sind. Und schlafende Eltern können nicht schimpfen. Für Loni beginnt also ab Halb Elf die schönste Zeit des Tages. Letztens sind wir durch laute Geräusche aus dem Kinderzimmer mitten in der Nacht aus dem Schlaf geschreckt. In Lonis Zimmer war Festtagsbeleuchtung und unser Sohn saß selig auf dem Teppich und spielte mit den Ninjago-Legomännchen, die er vorher von seinem Bruder geklaut hatte.
„Was machst du da?“, fragten wir fassungslos.
„Lego spielen!“
„Ab ins Bett! Ja spinnst denn du? Und morgen kommst du wieder nicht aus dem Bett!“
„Ich will aber Lego spielen!“
„Nein!“
Und schon war es wieder passiert. Das Kind begann, sich zu kratzen. „Meine Füße tun weh!“
Und erst nach dem Triumvirat der schwarzen Pädagogik „Drohen, Versprechen, Täuschen“, ging er freiwillig ins Bett.
Als wir das Licht löschten, hörten wir ihn gerade noch, wie er leise vor sich hin murmelte: „Dann stehe ich halt wieder auf, wenn ihr schläft.“
Ein einmaliges Ereignis? Mitnichten. Die letzten Wochen häuften sich die seltsamen nächtlichen Vorkommnisse in unserem Haus. Entweder wir haben einen Poltergeist, oder unser Kind hat ein eigenständiges Nachtleben, von dem wir nicht einmal ahnen, was es beinhaltet.
Erst freuten wir uns, dass wir morgens ohne ein Kind in unserem Bett aufwachten. Als wir das Licht in Lonis Zimmer anmachten, um ihn zu loben, war sein Bett leer. Hm, dachten wir. Dann hat er wohl bei seinem Bruder übernachtet. Als auch dort kein Loni zu sehen war, wurden wir unruhig. Ein leeres Kinderbett am Morgen ist nicht weniger als der Alptraum aller Eltern.
Als wir laut nach seinem Namen riefen, hörten wir es von unten kichern. Loni lag auf der Couch im Wohnzimmer. Er hatte dort übernachtet. „Aber Loni, da schläft man doch nur, wenn man mit der Mama gestritten hat“, wollte ich sagen. War aber zu erleichtert, dass der Kleine wieder aufgetaucht war.
Seitdem sperren wir jeden Abend die Haustüre doppelt zu und ziehen den Schlüssel ab. Und verstecken die Autoschlüssel. Sicher ist sicher. Wir haben bis heute nicht herausgefunden, was Loni die ganze Nacht über so treibt. Aber heute früh haben wir einen Teller voller angebissener Äpfel in seinem Zimmer entdeckt. Vielleicht macht er ja einfach nur nächtliche Brotzeit.
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