Wir Kinder der 80er-Jahre sind ja im beschaulichen Bayern überaus behütet aufgewachsen. Rückblickend war unsere Dorfgemeinschaft strikt homogen. Der einzige Ausländer, den ich kannte war der Pizzabäcker, „schwul“ galt als Schimpfwort und „behindert“ auch. Obwohl behinderte Menschen toleriert wurden, denn die konnten ja in der Regeln nichts dafür.
Als geistiges Kind dieser Zeit verziehe ich noch heute das Gesicht, wenn in Werbespots und in Fernsehserien jeder entweder multiethnisch und divers sexuell orientiert ist. Natürlich nicht überall, einige bayerische Traditionsbetriebe halten mit ihrer Werbung tapfer dagegen. Immerhin sind wir immer noch in Bayern. Mia san mia, da hat sich nichts geändert. Wobei wir ja seit ein paar Jahren ebenfalls bemüht sind, etwas offener dem Zeitgeist gegenüber zu werden. Viele Firmen setzen sich mit dem Thema „Diversity“ auseinander. Bayerische Diversity-Tage schauen dann so aus, dass es beim internationalen Buffet die Leberkässemmeln auch mal mit Ketchup gibt. Das Thema LGBTQ klammert man aber sicherheitshalber aus, so divers will man dann doch lieber nicht sein. Und auf einmal erwische ich mich dabei, wie ich zaghaft dagegen protestiere und in bierseliger Runde sogar das Gendern vehement verteidige: Wer weniger Vielfalt fordert, wird mehr Einfalt kriegen! Was ist mit mir passiert? Ich könnte jetzt behaupten, ich habe mich seit den 80er-Jahren weiterentwickelt. Auch örtlich. Ich lebe jetzt nicht mehr in einem kleinen Dorf, sondern in einer kleinen Stadt. Und habe zwischendurch sogar in einer kleinen Großstadt studiert. In einem anderen Bundesland! Das erweitert den Horizont ungemein. Auch mich hat es die letzten Jahre ziemlich überrollt, wie divers die Welt geworden ist. Trotzdem komme ich nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema immer wieder zu dem Schluss, dass es gut ist, dass die diversen Minderheiten heute lautstarker, sichtbarer Teil unseres Lebens sind. Oft höre ich das Argument, bei all den Veränderungen müsse doch auch das Volk, der Bürger, also der „normale“ Mensch mitgenommen werden. Dann denke ich wieder an mich selbst, als Kind in den achtziger Jahren, das ein erstes Mal in die Großstadt nach München fahren durfte. Ängstlich blickte ich in der U-Bahn die so anders als daheim im Dorf ausschauenden Menschen an und griff nach der Hand meiner Mama. Sie lächelte nur und sagte, ich bräuchte keine Angst haben: „Das sind alles normale Menschen.“
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