Zuletzt wurde ich auf unterschiedlichen Ebenen dazu angehalten, intensiv zu reflektieren. Also, meinem Handeln und Denken einer intensiven Reflexion zu unterziehen. Und ich sag’s gleich, wie es ist: Reflexion ist ein arrogantes Gscheithaferl. „Geh mal tief in dich und denk darüber nach“, hat meine Mama immer zu mir gesagt. Und da ahnte ich schon, dass nix Gescheites dabei herauskommen wird.
Obwohl ja meist das Gegenteil der Fall war. Ich habe in der stillen Stunde der Reflexion sehr wohl erkannt, dass es beispielsweise nicht sehr wertschätzend ist, Löcher in den aufblasbaren Spiderman der Schwester zu schneiden. Aber zugegeben hätte ich das nie! Da hätte ich mir ja charakterliche Schwächen wie Neid und Missgunst eingestehen müssen. Dieses kindliche Aufbegehren gegen Reflexions-Erkenntnisse hat mich bis heute begleitet. Legendär jener Abend, an dem meine Frau zu mir sagte: „Wie kann man sich nur so intensiv mit Massentierhaltung auseinandersetzen und immer noch Fleisch essen!“ Mir wäre fast die Leberkäsesemmel im Hals steckengeblieben und habe mich stundenlang um Kopf und Kragen argumentiert, warum der Konsum von Biofleisch wichtig sei. Wissend, dass die Leberkäsesemmel vom Supermarkt in ihrem früheren Leben höchstwahrscheinlich kein glückliches Schweinchen war. Meine Argumentationsschlacht pro Metzgereien war weniger von Rhetorik denn kindlichem Trotz befeuert. Es hatte damals noch mehr als ein Jahr gedauert, ehe ich mir eingestehen konnte, dass alle Argumente auf Seiten meiner Frau waren. Und ich mich auf kalten Leberkäseentzug begab. Ähnlich ist es heute mit so ziemlich allen Themen, die Veränderung von uns verlangen: dieser bescheuerte Klimawandel! Ich verzichte doch nicht wegen des Wetters auf mein Auto und den Flug in den Urlaub! Was kann ich einzelner schon ändern? Das Flugzeug fliegt ja sowieso! Und außerdem: China! Ähnlich wie beim zerstörten Spiderman und beim Fleischgenuss führt dialektisches Reflektieren bei mir dazu zu erkennen, dass das eigene Handeln falsch ist. Aber mir einen Fehler einzugestehen, führt verlässlich zu massivsten inneren Widerständen. Denn dann müsste ich ja etwas an mir ändern. Und Veränderung, intensive Reflektierer wissen das, ist aufwändig und tut weh. Noch mehr weh tat aber, dass ich mich irgendwann vor lauter Reflexion zu den „Guten“ zählte. Und richtig wütend wurde auf alle, die unreflektiert weitermachten wie bisher. Ich meinte sogar, die Gegenseite in einer Kolumne bekehren zu können. Nun hat mir die Reflexion den Spiegel vorgehalten. Es ist grundverkehrt, von sich auf andere zu schließen. Die Erkenntnisse müssen in jedem Einzelnen selbst reifen. Bei manchen geschieht das schneller, bei manchen passiert gar nichts. Und es sagt mehr über mich, als über andere, wenn ich mich darüber ärgere. Also wieder etwas über mich gelernt. Ich reflektiere also munter weiter.
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