Das größte Missverständnis in der Geschichte des Advents ist ja, dass es sich dabei um die „stade“ Zeit, also eine Zeit der Stille handelt. Wer diese vorsätzliche Täuschung in die vorweihnachtliche Welt gebracht hat, den sollte man noch heute strafen. Oder einen Marketingpreis verleihen.
Die stade Zeit nennt man die Wochen, in denen man in der Stadt keinen Parkplatz mehr kriegt, der Amazon-Paketbote häufiger klingelt als die Kletzein und der Kalender auch Abends so voll ist, wie sonst nur tagsüber. Man hetzt vom Christkindlmarkt zur Nikolausfeier und wer gleich in mehreren Vereinen ist, der weiß sich vor lauter Weihnachtsfeierei sowieso nicht mehr zu retten. Wie manche Leute es schaffen, inmitten dieses ganzen Weihnachts-Wahnsinns auch noch besinnlich Plätzchen zu backen und in der festlich geschmückten Stube mit den Vorzeige-Kindern fehlerfrei dargebotene Adventslieder zu spielen, ist mir sowieso ein Rätsel. Das einzig schöne an der Adventszeit ist, dass sie nach 4 Wochen schon wieder vorbei ist. „Wenn die stade Zeit vorbei ist, wird’s auch wieder ruhiger“, das hat schon Karl Valentin gewusst. Gestresste Eltern wie ich freuen sich heutzutage nicht mehr auf die Ankunft des Christkindls, sondern auf die Tage danach, wenn das alles wieder vorüber ist. Lateinisch heißt das Gegenteil von „Adventus“ übrigens „Discessum“. Wer feiert mit mir die Disces-Zeit? Also die Tage nach Weihnachten, an denen es, zumindest bei uns, tatsächlich etwas ruhiger wird? Und auf die ich mich inzwischen so sehr freue, wie ich mich als Kind noch auf Weihnachten gefreut habe. Aber gleichzeitig weiß ich, dass wir ein riesiges Massel gehabt haben. Denn, bis zum Straßburger Adventsstreit im Jahre 1038 nach Christi Geburt (= nach dem ersten Weihnachten), gab’s bei uns noch eine sage und schreibe sechs Wochen dauernde Adventszeit. Zwei Wochen mehr „stade Zeit“ - das würde mein Nervenkostüm kaum aushalten.
Man stelle sich das mal vor: Adventskränze mit 6 Kerzen, Christbaumbeleuchtung und Lebkuchen schon ab Mitte November! Wobei, wenn man genau hinschaut, hat im Straßburger Adventsstreit rückwirkend die Gegenseite doch noch gesiegt. Ginge es nach den Supermärkten, glitten die Sommerferien direkt in die Adventszeit über. Advent, Advent - da wird’s einem richtig warm ums Herz. Nicht nur, wenn der Advent im Laden schon im September beginnt. Sondern spätestens, wenn man sich an einem Adventssamstag mit den Menschenmassen durch die Einkaufsläden schiebt. Und ja, bei aller Schimpferei über die hektische Adventszeit, kenne ich mich gut genug: Sobald ich mit der ersten Tasse Glühwein in der Hand am Christkindlmarkt stehe, gibt es für mich nichts auf der Welt, über das ich mich mehr freue, als auf… die „stade Zeit“!
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