Tagelang sprach ganz Bayern nur vom anstehenden Bauernprotest. Eine unheimliche Wut köchelte seit Wochen im Volk. Man fragte sich, was am Abend im Brennpunkt, am nächsten Tag auf den Titelseiten der Zeitungen über die Bauern geschrieben stehen würde. Und dann war es kein Bauer, der die gesamte Aufmerksamkeit des Landes auf sich zog, sondern der Beckenbauer.
Der Kaiser. Es fühlte sich kurz so an, als blickte die Lichtgestalt von oben auf ein Land in Aufruhr und sprach: „Geh, wir haben so ein schönes Wetter heute. Was regt's Euch so auf über die Regierung?“ Franz Beckenbauer war so ein Mensch, der komplexe Sachverhalte auf simpelste Aussagen wie „Schaun ma mal, dann sehn wir schon“ herunterbrechen konnte. Also eben genau so eine Person, wie sich scheinbar so viele der mit dem System unzufriedenen heute wünschen. Ein Populist, mit Sicherheit. Und dennoch so ganz anders. Denn seine Einfachheit, seine auch sprachliche Eleganz, war getragen von einer tiefgründigen Positivität. Von einem Glauben an das Gute, an das Beste im Menschen, im Universum, das sich wie in einer self fulfilling prophecy in seinem eigenen Leben so lange Zeit manifestiert hatte. „Ja ist denn heut schon Weihnachten?“, beschrieb das Leben eines Sonntagskindes, das scheinbar alles richtig machte, alles zu Gold werden ließ, was es anpackte. Selbst die Schattenseiten des Lebens konnte der Franz verbal lange Zeit mit seinem leuchtenden Strahlen und einem lockeren Spruch beiseite wischen: Was bei jedem anderen ein Riesenskandal gewesen wäre, wischte er mit einem „Der liebe Gott freut sich über jedes Kind“ beiseite. Wer könnte dem Kaiser da schon widersprechen, wenn es nicht nur der Fußballgott so gut mit einem meint? Auch Beckenbauer erkannte, wenn etwas in der Nation, besser, der Nationalmannschaft nicht rund lief. Er konnte klar benennen, was zu ändern war. Er verpackte seine eigene Wut und Verärgerung aber meist gekonnt in Humor. Oder zwang seine Mannschaft zu einer durchzechten Nacht bei viel Alkohol, sich endlich auszureden. Dies würde den politisch so unversöhnlichen Lagern heute wohl auch guttun. „Burschen, gehts raus und tut’s regieren!“, hört man ihn beinahe Scholz, Habeck und Lindner zurufen. Aber wo viel Lichtgestalt ist, ist auch viel Schatten. Dass uns Beckenbauer das Sommermärchen 2006 nur durch Korruption ins Land holen konnte - geschenkt! Dass er in Katar beim besten Willen keine Sklaven sehen konnte - vielleicht lag's an seiner nicht immer topmodischen Brille. In einer sich so rasant in moralischen Ansprüchen wandelnden Gesellschaft altern Ikonen wie bayerische Päpste und Wetten-dass-Moderatoren leider nicht besonders gut. Der Liebesentzug der Öffentlichkeit hat dem Kaiser sein Licht genommen. Dass es nicht mehr zu einer Versöhnung zwischen dem Kaiser und seinem Volk gekommen ist, wird ein Schmerz bleiben. Aber nur für uns. Denn die Lichtgestalt ist längst aufgestiegen dorthin, wo man sich über nichts mehr aufregen muss. Der Kaiser ist jetzt im Himmel.
Mehr über Franz Beckenbauers Zeit bei den Bayern gibt es auch hier: https://www.chiemgauseiten.de/bernd-duernberger/
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