Die letzten Wochen haben ja die unterschiedlichsten Gruppen die Straßen unseres Landes verstopft. Da waren erst sehr viele Traktoren unterwegs, die sich für weniger Ampeln einsetzten. Und dabei im toten Winkel ihrer großen Maschinen beinahe die rechten Trittbrettfahrer ihres Protests übersahen. Weil sie sauer waren.
So sauer, dass sie beinahe auf die Idee kamen, die Ampel auf Galgen aufzuknüpfen. Und so wütend, dass es ihnen beinahe Wurst war, welche brandgefährlichen Umsturzfantasien sie mit ihrer Wut schüren. Kurz darauf waren in München sehr viele, meist schwarz oder rot bekleidete Menschen unterwegs, die nicht wütend waren. Eher nachdenklich, manche traurig. Es waren die letzten Kaisertreuen, die ihrer weißblauen Lichtgestalt die letzte Ehre erwiesen. Einer von ihnen war ich. Und ich war einer von denen, die laut klatschten, als Uli Hoeneß die Weltmeisterschaft 2006 als Franz Beckenbauers Meisterstück heraus strich: Diese positive, fröhliche, ausgelassene Stimmung im Land. Er forderte, dass Deutschland wieder dorthin müsse, stolz auf sich zu sein. Der Applaus war der lauteste der gesamten Veranstaltung. Meiner jedoch war noch lauter, als Hoeneß daraufhin mit bebender Stimme betonte, dass er dabei nicht die AfD dabei haben wolle. Vielleicht verhörte ich mich, weil ich so laut applaudierte. Aber mir kam es vor, dass die 30000 Fußballfans etwas verhaltener, etwas höflicher, etwas kälteklammer in ihre Handflächen klatschten. Und ich erinnerte mich an die vielen Diskussionen der letzten Wochen unter all denen, die sich für die letzten Vernünftigen im Land halten. Und, dass der eine und andere dieser “Vernünftigen” das Gefühl zum Ausdruck brachte, dass es nur noch eine einzige wirklich wählbare Partei in diesem verrückt gewordenen Land gibt. In Anbetracht der Schlagzeilen von auf ganz andere Weise verrückten Gruppen, die sich jüngst bei Geheimtreffen in Deportationsphantasien suhlten, wuchs in mir die Gewissheit, dass es nicht mehr reicht, die demokratische Mehrheit zu sein - solange man diese schweigend ist. Seit der Schulzeit fragte ich mich, wie meine Großelterngeneration den Nazi-Wahnsinn in unserem Land zulassen konnte. Heute stelle ich mir diese Frage nicht mehr. Ich bin live dabei. Umso erleichterter war ich, als Hunderttausende Menschen lautstark für Demokratie und gegen die AfD aufstanden und auf die Straße gingen. Ich kann jeden verstehen, der unzufrieden ist mit der Politik, der Angst hat, der sich Sorgen macht. Aber ich habe Null Verständnis, wenn jemand eine Partei wie die AfD tatsächlich wählt. Jeder, der sich einen Wandel und eine andere Politik wünscht, sollte mit seinem nächsten Wahlkreuzchen dafür sorgen, dass dieses Kreuzchen auch in künftigen Jahren noch möglich ist. Denn egal, wie wütend man ist, wie politikmüde man ist, abseits der demokratischen Parteien gibt es für die Zukunft unseres Landes vielleicht das Versprechen simpler Lösungen für komplexe Probleme. Aber keine Alternative für Deutschland.
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