Revoluzzer*in

Ab jetzt darf rebelliert, protestiert und geschimpft werden! In der aktuellen Kolumne berichte ich über meinen Traum, einmal ein echter Rebell zu sein wie einfach das in Bayern auf einmal geworden ist. Also tue ich das, was ich eigentlich schon lange wieder gelassen hatte: Es wird gegendert!

Mit erhobener Faust durch die Straßen der Stadt marschieren und Parolen gegen den Staat skandieren. So stellte ich mir in jungen Jahren meine Zukunft vor. So wie die 68er würde auch meine Generation eines Tages gegen die verkrusteten Institutionen aufbegehren und für die gerechte Sache kämpfen. Und dann kam alles ganz anders. Die größte Demo meiner Generation war die Love-Parade. Die gesamten Neunziger Jahre gab es in der wiedervereinigten Bundesrepublik gefühlt nichts, gegen das die frühen Millennials wirklich den Aufstand hätten proben müssen. Gut, wir haben halbherzig gegen den Irak-Krieg und gegen Atomenergie demonstriert. Das wars dann auch schon. Jahrzehnte später war es soweit: Menschen gingen wütend auf die Straße, da sie überzeugt waren, der Staat sei jetzt endgültig auf die dunkle Seite gewechselt und eine Aushebelung der Demokratie samt Machtergreifung der Merkel-Diktatur sei im Gange. Anders als mein jugendliches Ich gedacht hatte, war ich bei den Demos nicht mittendrin und vorneweg dabei. Nicht nur, weil ich mich an die Lockdown-Regeln hielt. Sondern auch, weil ich auf der anderen Seite stand. Auf der Seite des Staates. Statt eines Revoluzzers war aus mir ein braver, systemtreuer Bürger geworden. Bis jetzt! Endlich haben mir die bayerischen Politiker*innen eine Steilvorlage bereitet, um doch noch zum subversiven Revoluzzer zu werden. Nein, ich werde nicht einem Hanf-Club beitreten. Schlimmer! Ich werde gendern! Seit Markus Söder höchstpersönlich streng verboten hat, dass die Mitarbeiter*innen in bayerischen Amtsstuben gendern, übt das Gendern einen ganz neuen Reiz auf mich aus! Eigentlich hatte ich das Gendern für mich persönlich wieder sein gelassen, da ich den Denkprozess und die Haltung dahinter als wichtiger empfand, als den tatsächlichen Gebrauch des Gendersternchens. Außerdem sollte doch jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich mit einem simplen * aktiv zur LGBTQ+ Szene bekannte. Aber seit ausgerechnet diejenigen, die sich immer vehement gegen einen Genderzwang (den es übrigens bis heute nirgends gibt) aussprachen, ein tatsächliches VERBOT ausgesprochen haben, werde ich meinerseits wieder aktiv die Genderpause vor dem “innen” aussprechen. Es war nie einfacher, zum Revoluzzer zu werden! Für jemanden wie mich, der sich nie getraut hätte, sich auf die Gleise vor den Castor-Transport  zu ketten, sich für das Klima auf Kreuzungen zu kleben oder “etwas” zu rauchen, ohne Mitglied in einem Club zu sein, hat nun die Stunde der Revolte geschlagen. Deshalb würde ich an dieser Stelle alle Leser*innen dazu aufrufen, in bayerischen Amtsstuben und Klassenzimmern so lange und ausgiebig zu gendern, bis das Genderverbot wieder fällt. Aber das traue ich mich natürlich nicht. Denn so ein*e Revoluzzer*in bin ich dann auch wieder nicht.

Mehr über das Gendern:

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