Wer kann sich noch daran erinnern, welche Smartphone-App während unseres Sommermärchens 2006 das ganze Land begeisterte? Keiner? Ja, ich auch nicht. Weil 2006 noch keiner ein Smartphone besaß. Was? Wie haben sich Menschen denn damals Sprachnachrichten zugeschickt? Wie haben wir unsere Insta-Selfies geknipst? Und was haben wir die ganze Zeit nur mit unserer rechten Hand gemacht?
Ein klein wenig gruselig ist es schon, wie rasch die Smartphones unseren Alltag, unser komplettes Leben gekapert haben. Im Urlaub beobachteten wir heuer mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken, wie nahezu alle Familien ihre Babys mit dem Smartphone ruhig stellten. Zu unserer Zeit mussten die Kinder noch verzweifelt bespaßt werden, bis das Essen kalt war. Oder man ließ das Baby brüllen, bis man die tadelnden Blicke der anderen Gäste nicht mehr aushielt. Unsere Jungs sind keine Babys mehr und gefühlt war ihr erster ganzer Satz: “Wann krieg ich ein Handy?”. Beim Großen gaben wir beim Schulübertritt in der 5. Klasse nach. Das schien uns vernünftig und medienpädagogisch konform. Was wir dabei völlig übersehen haben war aber, dass sein zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder ihm (und uns) selbstverständlich alles nachmacht. Wir dachten, wir hätten vorgesorgt, da wir dem Großen über eine Familien-App die Bildschirmzeit stark limitiert hatten. Aber auch wenn zahlreiche Studien belegen, dass Handys Kinder dumm machen, scheint das Handy bei uns das Gegenteil zu bewirken. Jedenfalls kurzzeitig. Die intellektuellen Leistungen, die unsere Jungs aufwenden, um uns in Sachen Handyzeit auszutricksen, übersteigen bei Weitem ihre schulischen Leistungen: Im Laufe der Jahre haben sich offensichtlich einige ausrangierte Smartphones in unserem Haushalt angesammelt. Eines davon hat heimlich der Kleine wieder reaktiviert. Und auch der Große nutzt seit Tagen wieder ein altes Iphone, obwohl der Akku keine 20 Minuten mehr hält. Und wir blauäugigen Eltern haben erst jetzt gecheckt, warum. Weil auf dem alten Handy die Bildschirmzeit nicht reglementiert war! Ich könnte jetzt die alten Handys erneut irgendwo verstecken. Aber ich ahne, dass die Kids dann das ganze Haus auf den Kopf stellen und irgendwann mit einem piepsenden Nokia 3310 in der Hand auf dem Dachboden sitzen und mit viereckigen Augen Snake spielen.
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