Lesen ist eine Kernkompetenz und auch in der Jugendgerichtsbarkeit gibt es viele Fälle in denen das Lesen eines Buches als sinnvolle Alternative zum Ableisten von Sozialstunden gesehen wird. Durch die Auseinandersetzung mit einem Buch, so die Idee, haben die Jugendlichen die Möglichkeit, ihre eigene Straftat zu reflektieren und Lösungsstrategien zu erarbeiten. Zudem hat das Lesen an sich positive Auswirkungen auf Sprach- und Ausdrucksfähigkeit.
Die Mitarbeiterinnen der Jugendgerichtshilfe im Landratsamt Traunstein haben sich dafür eingesetzt, die sogenannte „Leseweisung“ auch in Traunstein zu installieren. Unterstützung hatten sie dabei von der Jugendrichterin vom Amtsgericht Traunstein, die die Umsetzung eines solchen Projektes befürwortete. So startete das erste Leseprojekt mit 6 straffälligen Jugendlichen im Januar. Als Dozenten wurden Bernhard Straßer und Meike K.-Fehrmann gewonnen. Beide sind einerseits literaturerfahrene Mitglieder der Chiemgau-Autoren e.V. und haben zudem Erfahrung in der Jugendarbeit: Straßer ist hauptberuflich Berufsberater bei der Arbeitsagentur und Fehrmann ist als Pädagogin bei Crenatur tätig.
An drei Terminen begleiteten die beiden den Lesefortschrittder Jugendlichen. Als Lektüre wurde Bov Bjergs Roman "Auerhaus"ausgewählt. Ein noch junges Buch, das von Publikum und Kritikern gleichermaßengelobt wurde, gleichzeitig leicht, aber auch literarisch zu lesen ist. Das Buchbehandelt Themen wie Diebstahl, Drogen, Suizid aber auch Freundschaft undLebensmut. Trotz der ernsten Themen ist es sehr humorvoll und gleichzeitigrealistisch geschrieben.Ein besonderes Highlight war für alle Beteiligten, dass sichin der Organisationsphase der Autor Bov Bjerg meldete. Er hatte von dem Projektgehört und schickte spontan Leseexemplare für die Jugendlichen.Während der drei Wochen, die das Leseprojekt dauerte,erfuhren die Jugendlichen auch eine Einführung in das Thema "Zwischen denZeilen Lesen" und es wurde über gemeinsam gelesene Kapiteldiskutiert.Am Ende konnten vier der Jugendlichen den Nachweiserbringen, das Buch gelesen zu haben. Sie bastelten gemeinsam eine Collage zumThema „Auerhaus“. Ein Jugendlicher fiel aufgrund Erkrankung aus. Er wird seineLeseweisung per Aufsatz abschließen. Leider gab es auch einen Jugendlichen dersich der Leseweisung entzog. Natürlich hat das Verweigern der Leseweisungebenso wie das Nicht- Lesen des Buches für die verurteilten JugendlichenKonsequenzen: In diesen Fällen wird die Jugendrichterin über Jugendarrestentscheiden.Die Jugendlichen, die das Leseprojekt erfolgreichabgeschlossen hatten, waren zufrieden. Sie hatten ein gutes Buch gelesen undviel über das Lesen und literarische Lesen erfahren. Ob das Lesen ihnengeholfen hat, über die eigene Straftat zu reflektieren, wird sich zeigen. Esbleibt zu hoffen, dass die Teilnehmer/innen künftig nicht mehr mit dem Gesetzin Konflikt geraten.Bernhard Straßer und Meike K.-Fehrmann zeigten sichzufrieden über die Gruppe: Es waren interessierte junge Menschen, die spannendeAspekte in die Diskussion einbrachten.Beide haben sich bereits bereit erklärt, auch zukünftigeEinheiten des Leseprojekts zu begleiten.