Eine der unfassbarsten Regionalgeschichten aus der Zeit des zweiten Weltkriegs ist jene, dass im Jahr 1945 der Freilassinger Bürgermeister einen amerikanischen Bomberpiloten erschossen hatte. Geschichten wie jene sind der älteren Generation mit Sicherheit noch vertraut. All jene mit der Gnade der späten Geburt erscheinen Geschichten wie diese derart unerhört, dass sie nur schwer zu glauben sind. Aber auch diese Begebenheit aus der vielleicht dunkelsten Zeit Freilassings ist in den Online-Archiven und im Freilassinger Heimatbuch sehr gut dokumentiert und soll hier als Mahnung noch einmal rekonstruiert werden.
August Kobus, im Jahr 1900 in Neuendorf in Pommern geboren, wurde vom hiesigen Gauleiter ab November 1940 als Bürgermeister der NSDAP von Freilassing eingesetzt. Kobus hatte als Soldat am Ersten Weltkrieg teilgenommen und war seitdem Kriegsinvalide. Eine seiner ersten Amtshandlungen war das Abhängen der Kruzifixe in den Klassenzimmern. Empörte Eltern hängten diese aber umgehend wieder auf.
Ab 1944 wurden die Schrecken des Zweiten Weltkrieges auch für die Freilassinger immer konkreter. Regelmäßig überquerten feindliche Flugzeuge die Stadt in Richtung Süden. Im Oktober wurde Salzburg zum ersten Mal schwer bombardiert. Die Detonationen waren auch in Freilassing zu spüren.
Im April 1945 stand Kobus und die politische Führung Freilassings stark unter Druck. Die Alliierten näherten sich unaufhaltsam, die Niederlage Deutschlands war nur noch eine Frage von Wochen.
Zudem war die Bevölkerung aufgebracht, Tieffliegerangriffe häufen sich. Am 4. April kam ein Eisenbahner aus Lohen zu Tode. Einige Tage später wurde ein kleiner Junge von einem Tiefflieger zum Krüppel geschossen. Die Stimmung in der Stadt war explosiv, die Wut über die gezielten Angriffe der Alliierten auf die Zivilbevölkerung stieg.
Am 16. April wurde ein amerikanisches Flugzeug von der Deutschen Luftabwehr schwer getroffen. Die Maschine konnte bei Sillersdorf notlanden. Der verletzte Pilot wurde von herbeieilenden französischen Zwangsarbeitern geborgen. Es handelte sich um den 24-jährigen Amerikaner Chester Elmer Coggeshall Jr. „Coggy“, wie er von seinem Kameraden genannt wurde, hatte vor seinem Militärdienst in der Highschool Football als Quarterback gespielt.
Der Verletzte wurde schließlich von in der Nähe stationierten Soldaten der Panzerkomandie abgeholt und in Gewahrsam genommen.
In einem gepanzerten Fahrzeug wurde Chester Coggeshall nach Freilassing gebracht. Bürgermeister August Kobus ließ den auf dem Panzerwagen liegenden verletzten Piloten ins Ortszentrum bringen, damit ihn die Bevölkerung sehen konnte. Die von ihm scheinbar erhoffte Entfachung des Volkszorns trat nicht ein, es kam zu keinen Ausschreitungen.
Deshalb brachte man den Gefangenen zum Zentralschulhaus, wo er Krankenrevier Erste Hilfe erhalten sollte. Aber Kobus stellte sich persönlich in den Türrahmen, hielt den Verletzten zurück:
Die Militärs warteten auf Befehle, wie es weitergehen sollte.
August Kobus führte ein Telefonat mit Kreisleiter Bernhard Stredele aus Berchtesgaden. Stredele befahl die sofortige Exekution. Kobus behauptete später, vom Kreisleiter mit ernsten Konsequenzen bedroht worden zu sein, wenn er den Befehl verweigerte.
Kobus fuhr auf dem Fahrrad in ein nahegelegenes Waldstück. Der Panzerwagen mit dem Piloten folgte ihm.
Im Wald wurde der Pilot Chester Coggeshall mit zwei Kopfschüssen hingerichtet. Ob es Kobus selbst, oder sein Begleiter Leutnant von Masow war, der geschossen hat, konnte nicht geklärt werden. Kobus wurde nach dem Krieg für den Mord als Kriegsverbrecher verurteilt.
In engem zeitlichem Zusammenhang zur Ermordung des Piloten fiel die Bombardierung Freilassings.
Da der Angriff so kurz vor Kriegsende noch erfolgte, waren viele Freilassinger lange Zeit davon überzeugt, dass es sich um einen Vergeltungsangriff für den Mord des Bürgermeisters an dem Piloten handelte. Neuere Erkenntnisse konnten dies allerdings ausschließen.
Die Wut der Freilassinger richtete sich allerdings in der Folgezeit nicht auf die alliierten Bomber, sondern speziell auf August Kobus selbst.
Nachdem dieser nach Kriegsende zum Tode durch den Strang verurteilt wurde, überführten die Amerikaner seinen Leichnam zurück nach Freilassing. Dort wurde die Leiche von erbosten Freilassingern aus der Leichenhalle geholt und vermutlich in der Saalachau verscharrt. Die letzte Ruhestätte von August Kobus bleibt bis heute ein Rätsel. Das Grab von Captain Coggeshall ist jedenfalls bekannt. Es befindet sich auf dem Long Island National Cemetery in New York.
Mehr Texte über unsere Heimatgeschichte: Hier klicken
Mehr zu diesem Thema sowie weitere interessante Beiträge findet ihr auf der Homepage von Julian Traublinger: https://julian-traublinger.de/
Alle literarischen Geschichten mit historischem Hintergrund findet Ihr auf dieser Seite zusammengestellt.
jJQaBOcg (Dienstag, 27 September 2022 03:05)
1