Maria Bruckmüller wurde ungewollt zu einer bedeutenden Zeitzeugin. Sie war zum einen mit Ritter Franz Brandl befreundet, dem Erbauer des Schloß Herrenchiemsee. Noch einschneidender für ihr Leben war, dass sie eine der Überlebenden des tragischen Schiffssunglücks am Waginger See 1860 war.
Dies ist ihre Geschichte:
Die Bruckmüller Maria wurde im Jahr 1832 als Wagnertochter in Tengling geboren. Ihr Vater stammte aus einem sehr wohlhabenden Haus, vom Bruckmüller, der die Brandauer Mühle unterhalb der Burg in Tittmoning betrieb.
Ihr Bruder Franz machte seinerseits eine gute Partie in Anschöring. Er heiratete in die Bannmühle ein und war fortan der dortige Müller und brachte es zu einem gewissen Wohlstand.
Durch ihn kam auch die Maria des Öfteren nach Anschöring. Es waren politisch brisante Zeiten damals, im fernen Frankfurt tagte eine Nationalversammlung, in Berlin brannten Barrikaden. Aber bis auf das Ende der Jagdrechte der Feudalherrscher hatte sich im ländlichen Oberbayern nichts verändert.
Im benachbarten Leobendorf bemühte sich zeitgleich ein junger talentierter Bauernsohn, der Schopperbaam Franze, um eine Beisteuer zum Erlangen eines höheren Schulabschlusses. Der Franze war ein gutes Jahr jünger als die Bruckmüller Maria und vermutlich sind sie sich einmal begegnet, als der Franze beim Pöllner, dem in dieser Zeit reichsten Bauern der Gegend, die Schafe hütete.
Die Maria war schon damals ein schönes, aber stolzes Mädchen gewesen, das den Jungen recht gut leiden mochte, aber darüber hinaus kein Interesse für ihn entwickelte. Der Franze seinerseits aber konnte die schöne Bruckmüllerin nie vergessen.
Die Bruckmüller Maria und der Schopperbaam Franze gingen getrennte Wege mit Vorzeichen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
Während der Franze eine Firma gründete und mit seinem ersten großen Auftrag an der Isarkorrektur mitwirkte, blieb die Bruckmüller Maria zurück auf dem Land.
Sie lernte den Rupert kennen, denn Sohn vom Schladerer am Güßhübel und zog bald zu ihm auf den Hof. Von Heirat wollte sie allerdings noch nichts wissen. Sie mochte ihr Leben so wie es war, ging allerlei Vergnügungen nach, wenn es sich ergab und der Schladerer Rupert war nicht unglücklich, dass ihm eine so schöne Frau die Treue hielt, ohne ihn zu eng an sich zu binden.
Zu Beginn des Jahres 1860 ahnte die Maria noch nicht, dass sie noch in diesem Jahr in die Geschichtsbücher von Kirchanschöring eingehen würde.
In diesem Jahr ging auch der Schooperbaam Franze in die Geschichtsbücher ein: Durch ihn als obersten Bauherr wurde die Bahnlinie Teisendorf - Salzburg und somit ein erstes Mal eine direkte Bahnverbindung zwischen Paris und Wien hergestellt.
Am 4. November 1860 fand in Waging der traditionelle Martinimarkt statt. Da auch die Tenglinger Freunde und Gefährten aus Kindheitstagen am Markt waren, nutzte die Bruckmüller Maria die Gelegenheit, um auf dem Markt Zerstreuung vom harten Alltag zu suchen.
Als sie gegen fünf Uhr nachmittags, es wurde bereits dunkel, mit der Fähre wieder zurück auf Gut Horn übersetzen wollte, war dort bereits reger Betrieb. Zahllose Männer und Frauen, auf dem Rückweg vom Markt, warteten auf die Fähre. Die meisten waren recht rauschig, weil das kühle Novemberwetter zum Verweilen in der Wirtschaft eingeladen hatte.
Das Fährschiff konnte bis zu 20 Mann sicher ans andere Ende des Sees bringen. Als es längst voll besetzt war, drängten aber weitere Burschen auf das Schiff. Die Laune auf dem Schiff war prächtig, auch die Bruckmüller Maria war aufgekratzt vom fröhlichen Tag und winkte, noch, als schließlich der 28. Passagier ins Boot sprang. Der erfahrene Fährmann weigerte sich zunächst, das völlig überladene Schiff zu fahren. Erst, als man ihm Schläge androhte, fügte er sich und setzte das schaukelnde Boot in Bewegung.
Als sich das hoffnungslos überladene Floß nur wenige Meter vom Ufer abgesetzt hatte, nahm es bereits einen bedrohlichen Tiefgang. Die Frauen schrien erschrocken auf. Und als einer der Burschen aufstand, um einem Mädchen beschützend die Hand um die Schulter zu legen, passierte es: Das Schiff geriet in Schräglage und kenterte.
Die Bruckmüller Maria landete im eiskalten Wasser. Sie konnte, wie die meisten, nicht schwimmen. Ihr Wintermantel sog sich mit Wasser voll und zog sie in die Tiefe. Es gelang ihr gerade noch, sich an den Planken des Bootes festzukrallen, rutschte wieder und wieder ab, zog sich, all ihre Kräfte aufwendend, wieder und wieder nach oben. Sie brach sich in ihrem Überlebenskampf etliche Nägel, und schürfte sich die Fingerkuppen blutig. Nur unter unnmenschlichen Schmerzen gelang es ihr, nicht vom tödlichen Seegrund verschlungen zu werden. Links und rechts von ihr schrien die Ertrinkenden. Vom anderen Ufer her eilte das Gegenschiff in lähmender Langsamkeit herbei. Einige wenige Mutige, die des Schwimmens mächtig waren, sprangen ins Wasser, um die, die der See noch nicht verschluckt hatte, zu retten. Andere rissen den Fährsteg aus seiner Verankerung und schoben ihn zu den Menschen im Wasser. Keine fünf Minuten später war es gespenstisch still auf dem See. Nur das leise Wimmern der Bruckmüller Maria, die sich noch immer an der Planke festkrallte war noch zu hören. Als das rettende Boot sie erreichte und sie zurück auf festen Boden brachte, waren ihre Finger, die sich so verzweifelt in den Bootsplanken eingekrallt hatten, ganz krumm und sollten es ihr Lebtag lang bleiben.
Aber sie war am Leben. Voller Dankbarkeit leistete die Bruckmüller Maria einen heiligen Eid, dass sie fortan täglich in die Kirche gehen würde, um den Herrgott für ihr geschenktes, zweites Leben zu danken.
Sie war 28 Jahre alt, als dieses zweite Leben begann. Außerdem versprach sie dem Rupert, ihn zu heiraten. Innerhalb weniger Jahre schenkte sie dem Rupert sechs Kinder, von denen vier überlebten. Wer nicht überlebte war der Rupert, der kurz nach der Geburt des sechsten Kindes verstarb.
Mit 40 Jahren war Maria Bruckmülller gezeichnet vom Schiffsunglück, hatte missgestaltete Finger, zog vier Kinder groß und war nun Witwe. Sie hatte ein neues Leben geschenkt bekommen, aber dieses stellte sie vor eine schwere Prüfung.
Trotz ihres Alters war sie immer noch eine schöne Frau. In diesen schweren Zeiten ließ das Schicksal ihre Wege wieder mit denen des Schopperbaam Franze kreuzen. Erst erkannte sie den feinen, reichen Herren aus München nicht, aber der Brandl Franz erkannte sie sofort.
Sie unterhielten sich lange und sie schüttete ihm ihr Leid aus, wie gut und wie schlecht das Schicksal es mit ihr gemeint hatte, welch Prüfungen der liebe Gott ihr abverlange.
Der Brandl Franz, der in ihrer Nähe nicht der mächtige Baumeister Brandl war, sondern wieder zum kleinen Hirtenjungen Franze wurde, bat sie, sie wiedersehen zu dürfen.
Sie trafen sich einige Male und der Baumeister Brandl erzählte ihr stolz, dass er vom König Ludwig den Auftrag erhalten habe, ein neues Schloss zu bauen. Ein passender Baugrund auf einer Insel am Chiemsee sei bereits gekauft und das Schloss sollte prächtig werden wie jenes vom Sonnenkönig in Frankreich.
Die Maria war geschmeichelt, dass sich ein so mächtiger Mann mit ihr abgab, aber sie hatte auch einen scharfen Blick für die Menschen und sie ließ sich von Reichtum und Macht nicht blenden.
Als ihr der künftige Schlossbauer Franz Brandl Andeutungen machte, dass er sie zu heiraten gedenke, wurden in ihr starke Bedenken laut. Ihr Rupert war noch nicht lange unter der Erde, finanziell ging es ihr nicht schlecht und so gern sie den alten Schopperbaam Franze gemocht hatte, der reiche Baumeister Brandl blieb ihr fremd. Als tatsächlich der Antrag folgte, wies sie diesen höflich zurück. Als der enttäuschte Franz Brandl nach dem Grund fragte, gab sie, halb wahrheitsgemäß, halb im Vorwand an: In dessen Familie gäbe es eine Evangelische. Und dieser Schande könne sie sich und ihre Kinder nicht aussetzen.
Mit dieser Zurückweisung endete auch das Verhältnis zwischen ihr und dem Franz Brandl, sie sahen sich nie wieder.
Der Baumeister Brandl hatte sich von dieser Abfuhr nie wieder erholt. Er baute dem König sein Märchenschloss am Chiemsee, wurde als Dank in den Ritterstand gehoben und starb als reicher Mann. Aber er hatte zeitlebens keiner Frau mehr einen Antrag gemacht.
Die Maria wurde über neunzig Jahre alt. Sie erzog ihre Kinder zu ehrgeizigen, klugen jungen Männern.
Auch ihr Gelübde löste sie ein. Sie ging selbst in hohem Alter täglich ins Dorf hinunter, um die Heilige Messe zu besuchen und den Herrgott für ihr geschenktes Leben zu danken.
Dabei spazierte sie auch am Jellenbauernhof vorbei, auf dem inzwischen ihr Sohn Sebastian der Bauer war.
Und dessen Kinder erzählten noch ihren Enkeln die Geschichte, dass die Maria nach jedem Kirchgang aus dem Dorf Brezen mitgebracht hat, die sie den Kindern schenkte. Und so habe auch ich vom faszinierenden Leben meiner Urgroßmutter, der Maria Bruckmüller, gehört.