Eine sehr kurze Geschichte über eine unheimliche Begegnung während des ersten Lockdowns der Corona-Zeit. Ideal für Schüler zum Interpretieren geeignet. Ihr habt Fragen zur Geschichte? Schreibt unten einen Kommentar!
Was macht eine gute Kurzgeschichte aus? In „Am Altwasser“ erlebst du hautnah, wie eine unsichtbare Gefahr das Leben des namenlosen Erzählers verändert. Während er an einem verlassenen Fluss entlangwandert, wird die Stille fast greifbar – doch irgendetwas lauert im Hintergrund. Diese Kurzgeschichte entführt dich mitten in die Corona-Pandemie und zeigt, wie schnell sich das Gefühl von Sicherheit in Angst verwandeln kann. Spannend und unheimlich – perfekt für alle, die auf der Suche nach einer packenden Kurzgeschichte sind!
Das Altwasser lag still und brackig zwischen totem Gehölz. Langsam spazierte er den schmalen Weg zwischen Wasser und Böschung entlang. Ein Duft stieg ihm in die Nase. Beißend und Schluckweh verursachend, beinahe – aber woher kam der Geruch, fragte er sich. Entstieg er stinkend dem Wasser oder waberte er, über das Wasser geweht, von der nahen Kläranlage her. Sicher war nur, was es mit ihm machte. Das Stinken verstärkte die Gedanken an Fäulnis, Verderben, diesen Widrigkeiten, denen er sich zu entziehen versuchte, hier draußen fernab von – Er hielt inne. Nichts. Stille suchte er hier, Einsamkeit und Vogelgezwitscher und ein Verstummen der Gedanken, des Denkens, der Angst, des Fürchtens. Und weil eine Weile alles Erhoffte da war, lenkte dieser Gestank jeden Gedanken zurück auf das, was er - war da was? Es war sicher nichts, sagte er sich, ein Krötenquaken, das dumpf dem Sumpf entwich. Doch, da war etwas. Da war eine Gestalt, die ihn – Er horchte innehaltend, fixierte das Etwas in der Ferne. Von fern wirkte es geduckt wie ein großer schwarzer Hund. Nein, aufrecht. Menschlich. Ein Mensch. Er musste weg. Der Weg war schmal. Ein Mensch, das war genau das, was er – ja, der Mensch kam langsam auf ihn zu. Kein Ausweg, kein Fluchtweg. Ein Weg ohne Ausweichmöglichkeit. Hadernd, hierhergekommen zu sein, wägte er ab, wie käme er wieder weg, heil und ohne – vielleicht ins Wasser? Sicherer wäre es im Wasser, als dem Mensch zu – er schritt zurück, Schritt für Schritt, fasste Mut, fasste nach einer Wurzel, hievte sich Meter für Meter die Böschung hoch und griff nach einem Gebüsch, ein rettendes Gebüsch, hinter dem er sich verbarg. Bang blickte er hustend nach unten. Der Mensch war fort.
Ende
Die Kurzgeschichte "Am Altwasser" von Bernhard Straßer beginnt mit einer idyllischen Beschreibung einer Landschaft, die jedoch bald von einem unangenehmen Geruch gestört wird. Der Geruch symbolisiert die Zerstörung der Natur durch den Menschen, die der Protagonist zu entfliehen versucht. Er sucht nach Stille, Einsamkeit und Frieden, doch er findet nur Fäulnis, Verderben und Angst. Er ist ein Fremder in seiner eigenen Heimat, die er lange nicht mehr besucht hat. Er fühlt sich unwohl und bedroht, als er eine Gestalt am Altwasser sieht, die sich ihm nähert. Er versucht, ihr auszuweichen, indem er die Böschung hinaufklettert und sich hinter einem Gebüsch versteckt. Er hofft, dass die Gestalt verschwindet, doch er ahnt nicht, dass es sich um seine Mutter handelt, die ihn in den Tod locken will.
Die Geschichte ist eine moderne Variante des Motivs der Nixe, einer Wasserfrau, die Männer ins Verderben lockt. Die Nixe steht für die Verführungskraft der Natur, die den Menschen von seiner Zivilisation abbringt und ihn in eine andere Welt entführt. Die Nixe ist aber auch eine Projektion der Sehnsüchte und Ängste des Mannes, der sich nach seiner verlorenen Heimat und seiner unbekannten Mutter sehnt, aber auch vor ihnen Angst hat. Die Geschichte spielt mit der Ambivalenz zwischen Realität und Fantasie, zwischen Leben und Tod, zwischen Liebe und Schrecken.
Die Sprache der Geschichte ist schlicht und nüchtern, aber auch atmosphärisch und suggestiv. Der Autor verwendet viele Details, um die Landschaft und die Stimmung zu beschreiben. Er benutzt auch Kontraste, wie das Altwasser, das still und brackig ist, und das neue Wasser, das klar und lebendig ist. Er nutzt auch Wiederholungen, wie das Wort "nichts", das die Leere und die Verneinung ausdrückt. Er schafft auch Spannung, indem er Fragen stellt, die er nicht beantwortet, und indem er die Gestalt am Altwasser erst spät enthüllt. Er endet die Geschichte mit einem offenen Schluss, der den Leser im Unklaren lässt, ob der Mann stirbt oder nicht.
Die Kurzgeschichte "Am Altwasser" von Bernhard Straßer ist eine gelungene Erzählung, die ein altes Motiv neu interpretiert und dabei die Themen der Heimatlosigkeit, der Identitätssuche und der Naturverbundenheit aufgreift. Sie regt den Leser zum Nachdenken und zum Mitfühlen an, indem sie ihm eine unheimliche und berührende Geschichte präsentiert.
Die Kurzgeschichte “Am Altwasser” von Bernhard Straßer ist eine moderne Adaption oder Fortsetzung der Kurzgeschichte “Brudermord im Altwasser” von Georg Britting. Sie handelt von einem Mann, der während des ersten Corona-Lockdowns an den Ort zurückkehrt, wo er als Kind seinen jüngsten Bruder ertränkt hat. Er wird von Schuldgefühlen, Angst und einer mysteriösen Gestalt verfolgt, die er für seinen toten Bruder hält. Die Kurzgeschichte kann als eine Allegorie auf die Corona-Situation im März 2020 verstanden werden, die viele Menschen in Angst und Isolation versetzt und mit dem Tod konfrontiert hat.
Die Kurzgeschichte beginnt mit einer Beschreibung des Altwassers, das still und brackig zwischen totem Gehölz liegt. Das Altwasser ist ein alter Donauarm, der vom Fluss abgeschnitten wurde. Er symbolisiert die Abgeschiedenheit und das Verderben, die der Protagonist empfindet. Das toten Gehölz deutet auf den Tod und die Vergänglichkeit hin, die den Ort prägen. Der Protagonist spaziert langsam den schmalen Weg zwischen Wasser und Böschung entlang. Er sucht nach Stille, Einsamkeit und einem Verstummen der Gedanken, der Angst, des Fürchtens. Er will seine Schuld verdrängen und sich von der Welt abkapseln. Er wird jedoch von einem beissenden Geruch gestört, der ihm Schluckweh verursacht. Der Geruch kann von der nahen Kläranlage oder dem stinkenden Wasser kommen. Er verstärkt die Gedanken an Fäulnis, Verderben, diesen Widrigkeiten, denen er sich zu entziehen versucht. Der Geruch ist ein Sinneseindruck, der den Protagonisten an die Realität erinnert, die er nicht wahrhaben will. Er ist auch ein Hinweis auf die Pandemie, die sich durch einen Verlust des Geruchssinns bemerkbar machen kann.
Der Protagonist hält inne und horcht. Er glaubt, etwas zu hören oder zu sehen. Er sieht eine Gestalt in der Ferne, die auf ihn zukommt. Er kann nicht erkennen, ob es ein Mensch oder ein Tier ist. Er denkt, es könnte sein toter Bruder sein, der ihn heimsucht. Er bekommt Panik und will weglaufen. Er hat keine Möglichkeit, auszuweichen, da der Weg schmal ist. Er entscheidet sich, die Böschung hochzuklettern und sich in einem Gebüsch zu verstecken. Er hustet und blickt bang nach unten. Die Gestalt ist verschwunden. Er ist nicht sicher, ob er halluziniert hat oder ob es wirklich etwas gab. Die Kurzgeschichte endet mit einem offenen Schluss, der keine Auflösung bietet.
Die Kurzgeschichte ist in der personalen Erzählperspektive geschrieben. Der Erzähler ist nicht allwissend, sondern folgt den Wahrnehmungen und Gedanken des Protagonisten. Dadurch wird die Spannung und die Unsicherheit erhöht, die der Protagonist empfindet. Der Leser kann sich in die Lage des Protagonisten versetzen und seine Gefühle nachvollziehen. Die Sprache der Kurzgeschichte ist schlicht und nüchtern. Es gibt keine wörtliche Rede oder direkte Anrede. Die Sätze sind meist kurz und knapp. Es gibt viele Anaphern, die eine Wiederholung oder eine Steigerung ausdrücken, z. B. “Er hielt inne. Nichts. Stille suchte er hier, Einsamkeit und Vogelgezwitscher und ein Verstummen der Gedanken, des Denkens, der Angst, des Fürchtens.” Die Anaphern spiegeln die Gedankenschleifen des Protagonisten wider, die er nicht loswerden kann. Es gibt auch einige Alliterationen, die einen Klangeffekt erzeugen, z. B. “still und brackig”, “stinkend dem Wasser”. Die Alliterationen betonen die Atmosphäre des Ortes, die unheimlich und bedrückend ist.
Die Kurzgeschichte ist eine moderne Adaption oder Fortsetzung der Kurzgeschichte “Brudermord im Altwasser” von Georg Britting, die 1938 erschienen ist. Die ursprüngliche Geschichte handelt von drei Brüdern, die im Altwasser spielen und dabei versehentlich ihren jüngsten Bruder ertränken. Die beiden älteren Brüder laufen nach Hause und beschließen, nichts zu sagen. Die Geschichte ist sehr spannend und emotional geschrieben, mit vielen sprachlichen Mitteln wie Anaphern, Alliterationen und Chiasmen. Die neue Geschichte greift einige Elemente der alten Geschichte auf, wie den Schauplatz, die Schuldthematik und die unheimliche Gestalt. Sie aktualisiert sie aber auch, indem sie die Corona-Situation einbezieht, die eine neue Dimension von Angst und Isolation schafft.
Die Kurzgeschichte “Am Altwasser” von Bernhard Straßer ist eine gelungene Variation oder Fortsetzung der Kurzgeschichte “Brudermord im Altwasser” von Georg Britting. Sie verbindet die klassische Schuldthematik mit der aktuellen Corona-Situation und erzeugt eine beklemmende Atmosphäre, die den Leser fesselt und nachdenklich macht. Die Kurzgeschichte ist ein Beispiel für die kreative und innovative Literatur, die aus der Pandemie hervorgehen kann.
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Ein lieblicher Duft: Maxim, der seit Wochen nichts mehr riechen konnte, bemerkt auf einmal Gerüche, die intensiver sind als alles was er je wahrgenommen hat. Lies die ganze Geschichte
Als es begann: Eine Gruppe junger Männer will nichts von einer vermeintlichen Bedrohung wissen und feiert gemeinsam auf dem Berg Geburtstag. Den Text findest du hier
Am Altwasser: Eine unheimliche Begegnung am Wasser. Hier kannst du sie lesen.
Bernhard Straßers "Am Altwasser" ist eine eindrucksvolle Kurzgeschichte, die durch ihre atmosphärische Dichte und die geschickte Verwendung von Stilmitteln besticht. Sie spiegelt die Stimmung und Ängste der Zeit des ersten Corona-Lockdowns wider und greift tief in die menschliche Erfahrung dieser unsicheren Periode ein. Die Erzählung ist geprägt von einem Gefühl der Stagnation und des Verfalls, das sich in der brackigen Wasserlandschaft und dem durchdringenden Geruch der Fäulnis manifestiert. Diese Elemente dienen als Metaphern für die allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit und des Unbehagens, die während der Pandemie vorherrschten.
Der Protagonist der Geschichte, der nach Ruhe und Einsamkeit sucht, wird stattdessen mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert, die durch die Begegnung mit einer fremden Gestalt verstärkt werden. Diese Konfrontation symbolisiert die unvermeidliche Auseinandersetzung mit inneren Unsicherheiten und Ängsten, die durch die Pandemie ausgelöst wurden. Die Erzählung verwendet geschickt Auslassungen und abgebrochene Sätze, um eine Atmosphäre der Bedrohung und Angst zu erzeugen, die die allgegenwärtige, aber oft schwer fassbare Natur der Ängste während des Lockdowns widerspiegelt.
Insgesamt ist "Am Altwasser" eine metaphorische Darstellung der menschlichen Erfahrung unter außergewöhnlichen Umständen. Straßers Erzählung ist nicht nur eine Reflexion über einen spezifischen Moment in der Zeit, sondern bietet auch tiefere Einblicke in die menschliche Psyche. Sie zeigt auf, wie die Suche nach Frieden und Normalität oft von Unsicherheiten und der Konfrontation mit dem Unbekannten überschattet wird, eine Erfahrung, die viele Menschen während der Pandemie gemacht haben.
...oder du genießt weitere Kurzgeschichten und literarischen Texte, die du hier findest!
Bernhard Straßer (Mittwoch, 18 Januar 2023 07:01)
Hallo Tobi, das freut mich ja sehr, dass diese Geschichte auch im Niger gelesen wird!
Schöne Grüße aus Bayern und melde Dich mal wieder hier!
Bernhard
Tobi M. (Freitag, 13 Januar 2023 08:02)
ich selbest wohne in niger und finde es sehr coole geschicte ´´
Webmaster (Freitag, 30 September 2022 14:39)
Kommentare bitte nur unter dem Namen "Bernhard Straßer" posten, wenn man wirklich so heißt. Andernfalls werden sie gelöscht.
Bernhard Strasser (Dienstag, 14 Dezember 2021 05:54)
Vielen Dank für den freundlichen Kommentar! Ich freue mich immer sehr über eure Rückmeldungen!
Liebe Grüße von Bernhard Straßer
Nele Oswlder (Montag, 13 Dezember 2021 15:45)
Ich bin seit 3 Jahre Lehrerin an einer Universität und ich muss zugeneb, mir gefällt diese Kurzgeschichte sehr gut. Sis ist äußerst reizend verfasst. Meine Hobbys sind Kurzeschichten verfassen, weshalb ich weiß wovon ich spreche. Ich liebe diese Geschichte. Zum Glück gibt es heutzutage noch talentierte Menschen, welche sich mit Literatur beschäftige,