Das schönste Weihnachtsgeschenk

Weihnachtsgeschichte das schönste Weihnachtsgeschenk

Alle Jahre wieder schreibe ich an Weihnachten für Euch eine Weihnachtsgeschichte zu einem aktuellen Thema. In dieser Weihnachtszeit hat mich am meisten beschäftigt, dass viele Menschen in unserem Land gerade Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Oder künftig deutlich weniger zu verdienen. Ich wünsche Euch viel Freude beim Lesen und Vorlesen an Heiligabend! Du kannst übrigens noch mehr Weihnachtsgeschichten hier nachlesen. Eine ganz kurze Version dieser Geschichte gibt es unter "Kurze Weihnachtsgeschichten"

Die Tage vor Weihnachten waren die dunkelsten, die die Familie von Wolfgang und Andrea je erlebt hatte. Seit sie vor sieben Jahren in ihr neu gebautes Haus eingezogen waren, hatten sie nur gute Zeiten gehabt. Andrea war damals mit dem zweiten Sohn schwanger, hatte gerade ihren letzten Tag in ihrem Job im Kindergarten hinter sich gebracht und freute sich auf die Zukunft zu viert im neuen Zuhause. Natürlich hatten sie darüber gesprochen, ob das Haus vielleicht ein wenig zu groß war und ob ein kleinerer Kredit vernünftiger gewesen wäre. Aber – wer weiß – vielleicht würden sie ja noch ein drittes Kind planen. Und was, wenn es dann Zwillinge würden? Lachend beruhigten sie sich gegenseitig. Nein, es war schon alles gut so. Wolfgang, der im Werk Schicht arbeitete, verdiente so viel wie noch nie, und die nächste Gehaltserhöhung war bereits in Aussicht.

Sieben Jahre lang war es so weitergegangen. Die Firma erwirtschaftete Rekorde um Rekorde. Da die Zinsen niedrig waren, nahmen sie einen weiteren Kredit auf, um ihr Eigenheim noch schöner zu gestalten. Die Häuser ihrer Freunde waren noch luxuriöser eingerichtet, und auch sie selbst waren mit vielem im neuen Haus noch nicht zufrieden. Also beschlossen sie, weiter zu investieren. Sie konnten es sich ja leisten. Wolfgang verdiente so gut, dass Andrea nur zehn Stunden in Teilzeit im Kindergarten arbeitete. Nicht wegen des Geldes, das fiel nicht ins Gewicht, sondern weil sie die Arbeit als Kindergärtnerin liebte.

Sieben gute Jahre hatten sie in ihrem neuen Haus glücklich und zufrieden Weihnachten gefeiert. Die Kinder wurden immer größer, ebenso der Christbaum und die Geschenke. Doch dann, wie aus dem Nichts, hatte zu Beginn der Adventszeit Wolfgangs Firma in einer großen Personalversammlung verkündet, dass Arbeitsplätze abgebaut werden müssten. Im besten Fall, so erklärte der Betriebsrat, würde es eine Schicht weniger geben und ein Teil der Belegschaft müsse mehrere Monate in Kurzarbeit gehen. Im schlechtesten Fall – und das sei bei der aktuellen wirtschaftlichen Lage der Firma realistischer – würde es Werksschließungen geben. Darunter auch das Werk, in dem Wolfgang arbeitete.

Wolfgang hätte dann die Möglichkeit, in einem Werk am anderen Ende Deutschlands unterzukommen – oder arbeitslos zu werden.


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In den ersten Tagen dieses Advents flossen im schönen, großen Haus der Familie mehr Tränen als in all den Jahren zuvor. Selbst wenn Wolfgang nur die Schicht und somit die Schichtzulage verlieren würde, wäre es schwierig, die hohe Kreditrate weiter zu finanzieren. Die beiden rechneten hin und her. Selbst wenn Andrea in Vollzeit arbeiten würde, könnte die finanzielle Lücke nicht geschlossen werden. Und in drei Jahren würde ohnehin ein Folgekredit aufgenommen werden müssen, doch die Zinsen waren seitdem stark gestiegen. Sie begriffen, dass nicht viel fehlen würde, und sie würden das Haus verlieren. Bald begannen sie, sich lautstark zu streiten. Die Kinder, inzwischen alt genug, um zu verstehen, dass etwas nicht stimmte, machten sich Sorgen. Wolfgang wurde immer wütender. Auf den Firmenchef, der Misswirtschaft betrieben hatte. Auf den Bankberater, der ihn zu den großen Krediten überredet hatte. Auf Andrea, die unbedingt einen Pool im Garten haben wollte. Dann war er wütend auf die Menschen, die keine Verbrenner mehr kauften. Und auf die Regierung, die er insgeheim für das ganze Schlamassel verantwortlich machte.

Die Wochen vor Weihnachten waren von so heftigen Streitereien geprägt, dass beide bald sogar über Scheidung nachdachten. Andrea warf ihm vor, dass sie, wenn es so weiterginge, sowieso die Hauptverdienerin im Haus sei und sie deshalb keine Angst vor einer Scheidungsschlacht habe. Das Haus würden sie so oder so verkaufen müssen. Als die Kinder weinten, beruhigten sich beide wieder, umarmten sich und gaben zu, dass sie große Angst hatten.

Ein erstes Mal wurde das Weihnachtsgeld nicht komplett für Geschenke ausgegeben, sondern auf ein Sparkonto überwiesen. Wolfgang und Andrea vereinbarten, sich gegenseitig etwas Günstiges, aber Persönliches zu schenken. Nur für die Kinder kauften sie jeweils ein Legoset, das im Angebot war. Tagelang bereiteten sie die Kinder darauf vor, dass das Christkind in diesem Jahr bei den Kindern, die im letzten Jahr sehr viele große Geschenke bekommen hätten, sparen müsse, da dieses Jahr die ärmeren Kinder mit den großen Geschenken dran seien.

Überrascht stellten die beiden fest, dass die Kinder sich darüber sehr freuten. „Mama, ich finde, das Christkind ist so lieb! Hoffentlich bekommen ganz viele arme Kinder die Geschenke, die eigentlich wir gekriegt hätten!“

Als der Heiligabend kam, das Wohnzimmer geschmückt und abgesperrt war und die Kinder draußen spielten, wanderten Wolfgang und Andrea immer wieder gemeinsam durch das Haus. Ganz langsam öffneten sie die Tür zu jedem einzelnen Zimmer und schauten es sich lange an. Und jedes Mal sagten sie leise zu sich: „Was für ein Geschenk, dass wir uns das alles leisten konnten.“ Als sie im ausgebauten Dachgeschoss ankamen und nach unten auf ihren großen Garten mit dem neuen Pool schauten, fielen sie sich in die Arme und hielten sich lange fest. „Wir waren doch auch glücklich, als wir noch in der kleinen Wohnung gelebt haben“, flüsterte Andrea. „Wichtig ist doch, dass wir uns vier haben. Und dass wir gesund sind.“ Wolfgang nickte. Er ließ seinen Blick über das Grundstück in der Siedlung schweifen. „Ich dachte immer, dass es selbstverständlich ist, so viel zu besitzen. Ich dachte wirklich, ich habe ein Recht darauf. Ich glaube, dass ich erst jetzt langsam begreife, wie wohlhabend wir sind und in welchem Palast wir leben.“

Sie begannen den Heiligabend in der traurigen Gewissheit, dass es vielleicht das letzte Weihnachten im großen Haus sein würde. Und sie liebten jeden einzelnen Winkel des Hauses so sehr wie noch nie. Sie bereiteten gemeinsam in der Küche das Essen für den Abend vor und waren aufrichtig erstaunt, wie schön es war, diese Küche zu haben. Sie berührten die Schubladen und Schränke ganz bedacht mit einem Gefühl, als wären sie nur noch Gäste im eigenen Haus. Dankbare Gäste. Dankbar für jeden Tag, jede Minute, die sie noch in diesem Haus verbringen durften.

Als sie während der Bescherung zuschauten, wie sehr sich ihre Kinder auch über die kleinen Legosets freuten, rannen ihnen stumm Tränen übers Gesicht. Andrea hatte Wolfgang eine Mütze gehäkelt, die dieser den ganzen Abend begeistert trug. Er seinerseits hatte Andrea ein selbstgemachtes Fotoalbum mit alten Fotografien aus ihren Anfangsjahren geschenkt, die er auf dem Speicher gefunden hatte. Andrea blätterte durch die Seiten, schwelgte in Erinnerungen und hatte das Gefühl, noch nie etwas Schöneres zu Weihnachten geschenkt bekommen zu haben.

Es war bereits spät, die Kinder bauten gerade unter dem kleinen Christbaum ihre Legosets auf, als die heimelige Stille durch den schrillen Ton einer Textnachricht durchschnitten wurde. „Das ist mein Chef“, entfuhr es Wolfgang. „Was will der denn um die Zeit?“

Als Wolfgang die Nachricht las, hielt er sich plötzlich die Hand vor den Mund. „Was ist los?“ Während sich seine Augen mit Tränen füllten, reichte er ihr stumm das Handy.

„Liebe Belegschaft“, las sie in der Nachricht. „Ich möchte mich dafür entschuldigen, Sie während der Feiertage zu behelligen. Aber diese Nachricht ist zu wichtig, als dass wir bis zum neuen Jahr warten können. Die Vorstandschaft und der Betriebsrat haben bis vor wenigen Stunden intensiv über die Zukunft des Werkes verhandelt. Ich kann Ihnen nicht verschweigen, dass es der Firma nicht gut geht. Aber zumindest darf ich mitteilen, dass das Werk gerettet ist und wir somit jeden einzelnen Arbeitsplatz, auch Ihren, erhalten können. Ich wünsche Ihnen ein Frohes Weihnachtsfest.“

 

Ende

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