Der eine war während Kirchanschörings dunkelster Zeit der Bürgermeister. Der andere einer der gefeiertsten Dirigenten der Nachkriegszeit und Gründer des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Gemeinsam hatten sie, dass sie beide viele Jahrzehnte in Kirchanschöring lebten und denselben Nachnamen trugen. Ansonsten sind die Biographien der beiden Kirchanschöringer Persönlichkeiten ein gutes Beispiel, wie unterschiedlich die Werdegänge während nach dem Dritten Reich verliefen.
Fritz Jochum, der mit dem berühmten Namensvetter weder verwandt noch verschwägert ist, stammte ursprünglich aus München. Ab 1921 war er in Kirchanschöring Lehrer und Schulleiter und übte dieses Amt bis zum Ende des Krieges 1945 aus. Bis heute ist er in Kirchanschöring eine umstrittene Persönlichkeit. Einerseits war er tief ins Dorfleben verankert. Er war zeitweise der Organist in der Kirche, 1932 Vorstand der Freiwilligen Feuerwehr und 1939 sogar Schützenmeister. Vielleicht wäre er unter anderen Umständen einer von Kirchanschörings Ehrenbürgern geworden. Hätte er sich während der Hitler-Herrschaft nicht für die Kooperation mit den Nazis entschieden. Er engagierte sich beispielsweise im Nationalsozialistischen Lehrerverband, dessen Kreisverwalter er 1939 wurde. Ab 1941 war er während den dunklen Kriegsjahren in Kirchanschöring der Ortsvorstand der NSDAP Kirchanschörings. Vielleicht war er ein lupenreiner Nazi, so stellte ihn Luise Rinser in ihrer umstrittenen Biographie „Den Wolf umarmen“ dar. Jedenfalls wurde sie während Jochums Zeit als Ortsvorstand denunziert und in Kirchanschöring verhaftet. Verbürgt ist allerdings auch, dass Jochum „niemanden hingehängt hat“, wie der verstorbene Altbürgermeister Hans Straßer im Heimatbuch betonte. Für dessen Vater hatte sich Jochum, trotz unterschiedlicher politischer Ansichten, eingesetzt, als dieser wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt war. Auch für Sebastian Wallner hatte er sich eingesetzt, der seinerseits beinahe wegen Wehrkraftzersetzung angezeigt worden wäre. Verbürgt ist auch, dass viele Kirchanschöringer mit Jochum Mitleid hatten, als dieser nach Kriegsende in Haft kam. Der Gemeindeschreiber Brunner hatte ihn belastet. Jochum war drei Jahre in Moosburg in Haft und wurde unter anderem verurteilt, die Reste der unmenschlichen Verbrechen im KZ Dachau zu beseitigen. Fritz Jochum kehrte nicht mehr nach Kirchanschöring zurück, sondern verbrachte seinen Lebensabend in der Ramsau, wo er 1970 verstarb.
Während der Kriegsjahre war der aus Augsburg stammende Musiker Eugen Jochum bereits ein berühmter Dirigent. Er war Kapellmeister in Kiel, Mannheim und zuletzt Generalmusikdirektor des Stadttheaters Hamburg gewesen. Jochum hatte mehrmals auch für Hitler dirigiert und wurde von den Nazis hofiert. So soll er auch ein Grundstück direkt am Waginger See in Wolkersdorf, Gemeinde Kirchanschöring angeboten bekommen haben. Hier baute er sich sein Refugium am See mit Steg und Bootshaus und brachte seine Familie, Frau Maria und die drei Kinder während der Kriegsjahre in abgeschiedener Sicherheit unter. Am 21. März 1945 gelang es ihm, den letzten das zerstörte Hamburg verlassende Zug zu erwischen. Vier Tage dauerte die Odyssee durch das zerstörte Deutschland, bis er in Wolkersdorf in vorläufiger Sicherheit ankam. Trotz seiner beruflichen Nähe zu den Nazis wurde er während des Entnazifizierungsprozesses nicht schwerer belastet und er konnte sofort wieder als Musiker tätig sein. Während sein Namensvetter eine längere Haft hinter sich hatte und drei Jahre in verschiedenen Gefängnissen „entnazifiziert“ wurde, baute Eugen Jochum ab 1949 das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks maßgeblich mit auf. In Wolkersdorf interessierte man sich nicht sonderlich für den musikalischen Nachbarn. Man wusste, dass er als Musiker in München tätig war. Dass er auch in New York Erfolge feierte, davon wussten die Nachbarn nichts. Eugen Jochum zählt bis heute zu den bedeutendsten Interpreten der Werke Anton Bruckners. Eugen Jochum feierte auch während der Nazi-Zeit große Erfolge und stand sorgar auf Hitlers „Gottbegnadeten“-Liste, gehörte also zu den für das Regime wichtigsten deutschen Künstlern. Während er das Entnazifizierungs-Verfahren schadlos überstand und seine Karriere erfolgreich fortsetzte, war der Name von Fritz Jochum fortan verbrämt.
Die beiden Kirchanschöringer Persönlichkeiten mit dem Nachnamen Jochum zeigen auf beeindruckende Weise, wie unterschiedlich die Lebenswege nach dem Dritten Reich verlaufen können. Während der eine, Fritz Jochum, sich für eine Kooperation mit den Nazis entschied und später dafür zur Verantwortung gezogen wurde, baute der andere, Eugen Jochum, eine erfolgreiche Karriere als Dirigent auf und wurde als Musiker international gefeiert. Trotz ihrer unterschiedlichen Lebenswege bleiben sie beide ein Teil der Geschichte Kirchanschörings und zeigen, wie wichtig es ist, die Vergangenheit aufzuarbeiten und aus ihr zu lernen.