Auf meiner Suche nach Kraftorte und Heilquellen im Rupertiwinkel und Chiemgau stieß ich immer wieder über die Ponlach bei Tittmoning. Auch wenn mir der Name nichts sagte, die Wanderung vom Stadtplatz Tittmoning hinauf zur Burg, die kannte ich schon seit frühester Kindheit. Damals rannten wir Kinder aber so voller Vorfreude auf die Burg den idyllischen Waldweg hinauf, dass wir weder Sinn noch Muse dafür hatten, dass wir uns mitten in einem Kraftort befanden. Zeit, die Wanderung mit unseren Kindern noch einmal zu unternehmen!
Die Stadt Tittmoning an sich ist für Kinder schon ein kleines Highlight. Überall gibt es fließendes Gewässer und die sehr gut erhaltene mittelalterliche Altstadt lässt der Fantasie freien Lauf, wie die Ritter einst gelebt hatten.
Meine erste Überraschung war, dass der als lange „Wanderung“ in Erinnerung gebliebene Weg von der Stadt hinauf zur Burg tatsächlich nur ein Spaziergang von 10 Minuten Länge ist. Gut, mit Kindern dauert es zwei, drei Minuten länger.
Sofort spürt der Wanderer, dass er sich an einem außergewöhnlichen Ort befindet. Der Weg schlängelt sich links und rechts des Bächleins Ponlach entlang Richtung Burg. Die Ponlach selbst mäandert durch den nach ihr benannten Ponlachgraben und prägt die urig-verwunschene Landschaft. Der Wald scheint weitgehend in seinem natürlichen Zustand belassen zu sein und zahllose Wasserfälle und kleinere Seitenarme der Ponlach lassen das Auge und Gemüt sofort ruhig und entspannt werden.
Natürlich haben auch meine Kinder kein Gespür für die verzauberte Energie dieses Ortes. Sie wollen rauf zur Burg. Während ich mir noch Zeit lasse, um die moosigen Felsen und windschiefen halbverwitterten Bäume fotografisch in Szene zu setzen, ist mir meine Familie längst davongeeilt.
Das letzte Stück des Weges bin ich tatsächlich so darauf fixiert, die Kinder einzuholen, dass ich das eigentliche Highlight unachtsam links beziehungsweise rechts liegenlassen habe: Das kleine Wallfahrtskirchlein Maria Brunn. Hier entspringt nämlich die Ponlach-Heilquelle wegen der jahrhundertelang die Gläubigen hier herauf pilgerten. Ob mit oder ohne Maria Brunn – der Weg ist auch so ein einziger Kraftort und ein durch und durch kraftspendender Spaziergang.
Am allerschönsten – so habe ich mir sagen lassen – ist der Ponlachgraben allerdings in der Adventszeit. Beim jährlichen Barbaramarkt ist der ganze Weg mit Kerzen und Fackeln beleuchtet und überall gibt es inspirierende Kunsthandwerker-Stände.
Auf der Burg gibt es übrigens das Rupertiwinkel- und Gerbermuseum und ein Café. Leider waren diese bei unserem Besuch coronabedingt geschlossen. Macht nichts – für die Kinder gibt es eine coole Aussicht zwischen den Zinnen im Burgvorhof und im Burghof stehen zwei eindrucksvolle Kanonen.
Für den Rückweg empfehle ich -wenn er nicht gerade gesperrt ist – die Treppen des Papst-Benedikt-Weges. Die führen nämlich am plätschernden Mühlbach und vielen Künstlerhäuschen vorbei und sind der kurzweilige und schnellste Weg zurück zum Stadtplatz.
Unzählige Mythen und Legenden ranken sich um den Ponlachgraben, das Gebiet rund um den gleichnamigen Bach zwischen der Tittmoninger Altstadt und dem Leitgeringer See. Heute ist der Ponlach Bach aufgrund seiner abwechslungsreichen Natur ein Magnet für Touristen und einheimische Wanderer. Dabei reicht die Anziehungskraft des Ponlach als Kraftort und Heilquelle viele Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende zurück.
Der Ponlach Bach war buchstäblich der Lebensquell der Stadt Tittmoning. Bis in die jüngere Vergangenheit hinein bestand der Großteil der Trinkwasserversorgung Tittmonings aus den Quellen des Ponlach. Deren Name setzt sich aus dem Wortstamm „lach“ für „Lache“, also Wasser und dem bis heute ungeklärten „Pon“ beziehungsweise „Bann“ zusammen. Während sich Gelehrte über dessen Bedeutung noch streiten, könnte die Bedeutung ganz einfach sein und „Baden“ bedeuten. Noch zu Beginn der Ponlacher Wallfahrt gab es dort ein Heilbad, das allerdings später den Hochwassern zum Opfer fiel.
Die katholische Ponlacher Wallfahrt ist ab 1624 schriftlich verbürgt, als der Salzburger Erzbischof Paris Graf Lodron die dortige Kapelle auf eigene Kosten neu bauen ließ. Wie lange die Quellen dort bereits ein Wallfahrtsort waren, darüber lässt sich nur spekulieren. Einige Indizien deuten darauf hin, dass es bereits in römischer Zeit entlang des Ponlach Wasserkulte betrieben wurden. So entdeckte man 1815 bei Allmoning, unweit des Ponlach ein Nymphenheiligtum.
Viele der alten Wallfahrtsorte befinden sich auf römischen oder keltischen Kultstätten. Dies geht auf eine kluge Politik Papst Gregors I. im 6. Jahrhundert zurück, der die vorchristlichen Kultorte nicht zerstören ließ, sondern diese für den christlichen Glauben umfunktionierte. So vermutet Elisabeth von Samsonow, die sich 1990 mit der Geschichte des Ponlach auseinandergesetzt hatte, dass hier einst der „Magna Mater“, der phrygischen Göttermutter Kybele gehuldigt wurde. Ein Kult, der der späteren Marienverehrung sehr ähnlich war.
Die Hoch-Zeiten der Ponlach-Wallfahrt begannen am Anfang des 17. Jahrhunderts. Damals befand sich die Wallfahrtskapelle noch unten im Graben und wurde von einem Einsiedler betreut. Zur Wallfahrt gehörte ein Bad im zugehörigen Heilbad in der Ponlach.
Ab 1714 konnte die Kapelle die Pilgerströme nicht mehr fassen und es wurde ein Neubau angedacht. Die bisherige Stelle hatte sich aufgrund regelmäßiger Wassereinbrüche als nicht ideal erwiesen. Die Planer standen nun vor einem nicht unerheblichen Problem: Eine Wallfahrt ist stets mit dem jeweiligen Ort verbunden. Diesen Ort zu versetzen war mit dem Risiko behaftet, dass der Neubau abseits des eigentlichen Kraftortes von den Gläubigen nicht anerkannt wurde. Beim Neubau half dann der Zufall – oder die Gnade der Muttergottes – je nach Auslegung: Bei den Arbeiten wurde ein Arbeiter von einem vor einer Quelle herabspringenden Stein getroffen und verletzt. Sofort verabreichte man ihm das Heilwasser als Medizin. Da der Bauarbeiter nach wenigen Tagen wieder ganz gesundete, verkündeten die Bauherren dies als Wunder und als Hinweis des Wohlgefallens Mariens an dem neuen Bauplatz.
Die Wallfahrtskirche Maria Brunn wurde schließlich am 21. November 1717 feierlich dort eingeweiht, wo sie bis heute steht.
Die Entfernung der Wallfahrtskirche vom eigentlichen Kraftort hatte für den unteren Ponlach-Graben gravierende Folgen. Das Heilbad, in dem jahrhundertelang rituelle Bäder durchgeführt wurden, begann zu verfallen. Nach einem Hochwasser wurde es endgültig zerstört und nicht wieder aufgebaut. Interessant ist dabei, dass sich in dieser Zeit die Wallfahrtsform wandelte: Es ging nun nicht mehr um das Baden an sich, sondern nur noch um die innere Aufnahme des Wassers als Heilwasser, beziehungsweise die Symbolik des Wassers als reinigendes, geistiges Element.
Einen weiteren Einschnitt in alte Traditionen gab es 1786. Da die Kirche vor Votivgaben und Votivtafeln überquoll, wurde diese – bis auf wenige repräsentative Votivtafeln – ausgeräumt. Auch erging ein Edikt, dass die Gläubigen sich für Wallfahrten und Bittgänge nicht mehr tagelang von Haus und Arbeit entfernen sollten. Man solle doch bitteschön, so wünschten es die erzbischöflichen Herren, innerhalb der Pfarrei auf Wallfahrt gehen und bis zur Mittagszeit wieder zurück sein, um sich seiner Arbeit widmen zu können. Das Edikt lässt erahnen, dass die Motive vieler Wallfahrer nicht nur im gemeinsamen frommen Gebet bestanden.
Im Jahr 1817 wurde noch einmal feierlich das 100-jährige Bestehen von Maria Brunn gefeiert. Auch hundert Jahre später wurde noch einmal von einem großen Doppeljubiläum berichtet, als 300 Jahre seit Beginn der Wallfahrt und 200 Jahre Wallfahrtskirche gefeiert wurden. Danach wurde es stiller rund um den Ponlachgraben.
Bis heute hat der Ponlach nichts von seiner mystischen Kraft verloren. Zwar wurde die Kapelle Maria Brunn bis heute instand gehalten, das restliche Areal inklusive der historischen Grotten sind allerdings deutlich in die Jahre gekommen. Sie lassen den Prunk der alten Wallfahrt nur erahnen. Der Ponlach selbst hat auch in seiner heutigen, natürlichen Wildheit, nichts von seiner Kraft verloren. Er ist auch ohne Kult und Wallfahrt einer der außergewöhnlichsten heimischen Kraftorte.
Den Ponlachgraben und Maria Brunn findest Du hier: