So beginnt der Songtext von "Junge Römer". Der wohl beste Song von Falco - die Lyrics, die Musik, die Poesie. Die genaue Bedeutung des Songs hat etwas mit der Dekadenz der römischen Gesellschaft in Zeiten des eigenen Untergangs zu tun. Die eigentliche Bedeutung ist allerdings eine rein subjektive, die sich jedem Hörer dieses Songs ganz individuell entfaltet. Um die Entstehung und die Bedeutung von Falcos wohl künstlerisch wertvollsten Song drehen sich viele Legenden. Hier könnt ihr eine davon nachlesen und etwas weiter unten noch eine Kurzgeschichte zum Thema:
1984 war Falco auf der Höhe seiner Kreativität. In seinem gerade entstehenden zweiten Album vermischte er Einflüsse aus Rock, Pop, Funk, Hip-Hop. Gleichzeitig stand Johann Hölzel, wie Falco mit bürgerlichem Namen hieß, unter enormen Druck, das unfassbar erfolgreiche Debütalbum „Einzelhaft“ zu toppen. Falco flüchtete sich, wie so oft, in Alkohol. Die Tage im Studio entwickelten sich zum Fiasko. Obwohl Produzent Robert Ponger mit den fertigen Songs parat stand, waren viele von Falcos Lyriks nur teilweise fertig. Große Probleme bereitete insbesondere die titelgebende erste Single-Auskopplung des Albums, „Junge Römer“. Wie durch ein Wunder aber war Falco beim Einspielen des Songs auf den Punkt ausgenüchtert und klar genug, um nahezu improvisierend, die faszinierenden Lyriks dieses sprachdurchmischenden Liedes einzusingen. Rund um das eindeutig von David Bowies „Let’s Dance“ inspirierten Anfangssample entstand der wohl innovativste und künstlerisch eindrucksvollste Song des Falco-Universums.
Rund um die Entstehungsgeschichte ranken sich viele Legenden. So soll Billy Filanowski in einer der langen Nächte im U4 ausgeplaudert haben, dass Falco in seiner Wohnung in der Schottenfeldgasse in Wien ein Geheimfach einbauen lassen hatte. In diesem Geheimfach hätte Falco in einer Zedernholzschatulle Dinge aufbewahrt, die er vor dem Zugriff von Händen, in die sie nicht gehörten, bewahren wollte. In dieser Zedernholzschatulle befand sich nicht nur regelmäßig Kokain und zeitweise eine Pistole, sondern noch ein ganz besonderer Schatz von dem die Öffentlichkeit nicht erfahren sollte. Ein Din-A 4 Notizbuch, in dem Falco in der Zeit von 1983-1984 die Textentwürfe des „Junge Römer“ – Albums gekritzelt hatte. Angeblich soll sich darin auch eine alternative Ur-Version von „Junge Römer“ befunden haben, die noch berührender war als das Original. Falco habe sich gegen eine Veröffentlichung entschieden, weil der Text ihm zu persönlich erschien. Der Coup an der Geschichte mit dem Geheimfach in der Schottenfeldgasse: Laut den Ohrenzeugenberichten von damals habe sich die Zedernholzschatulle mit Falcos Notizbuch am Tag seines tragischen Unfalls 1998 noch immer im Geheimfach in Falcos Wohnung befunden. Und dort vermutlich liegt sie, gut versteckt, noch heute.
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Seit Sommer benimmt sich der 17-jährige Falko sonderbar. Er spricht und kleidet sich wie der Wiener Popstar.
Sein bester Freund Wolfgang wird wohl auch im zweiten Anlauf das Abi nicht schaffen. Als Falko von Sanitätern aus der Schule getragen wird, ahnt Wolfgang, dass nicht er es ist, der vor einem wirklich großen Problem steht: Falko hat einen Gehirntumor. Für beide beginnt das größte Jahr ihres Lebens. Zum Buch
Auf der Beerdigung von Hans Vater ging beim Leichenschmaus das Bier aus. Der Wirt hatte vergessen, genug zu bestellen und nicht damit gerechnet, dass Hans Freunde so viel trinken würden. Es war Hans Wunsch gewesen, sich mit ihm bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken.
Nachdem der letzte Tropfen ausgeschenkt und ausgetrunken war, zogen Hans, der keinen Unterschied fühlte zwischen dem dumpfen Nichts der Vortage und den ausgelöschten Empfindungen des Jetzt, und seine Freunden in das nächste Wirtshaus weiter.
Hans Vater war an Alzheimer gestorben.
Am Morgen nach der Beerdigung kaufte sich Hans eine Digitalkamera.
Zwei Jahre später waren seine Freunde erwachsen geworden. Hans nicht. Er führte ein detailgenaues Tagebuch und fotografierte viel. Auf eine kompromisslose Weise suchte er die Nähe zu wesentlich
jüngeren Menschen, die einzigen, in deren Gesellschaft er aufblühte.
Einer dieser Menschen war Emmi, ein neunzehnjähriges Mädchen mit wachen Augen und einem Lächeln durch das sich der angelächelte für etwas außergewöhnlich besonderes halten mochte. Sie ahnte die
Exklusivität, die er ihr gewährte, er fotografierte sie oft.
"Warum fotografierst du so viel?", fragte sie, als sie auf einem Maskenball in einem alten Bauernhaus zusammen auf einer Couch saßen.
Er trug einen teuren Designeranzug, verbarg seine Augen hinter einer Sonnenbrille und wirkte in dieser Verkleidung im rustikalen, modrigen Mauergewölbe wie ein ungetarnter Fremdkörper. Emmi war
als Pirat maskiert und ihre Wangen durchkreuzten vier schwarze Striche, die eine furchterregende Tätowierung darstellten. Hans lächelte sein oberflächliches Lächeln und legte einen Arm um
sie.
"Weißt du, liebste Emmi, das Leben ist zu kurz, um sich mit irgendwelchen anderen Belanglosigkeiten als mit der Gegenwart zu befassen."
Er nahm die Brille ab und sah sie mit seinen dunklen Augen an, die immer etwas glasig leuchteten.
"Warum wir es trotzdem tun? Weil die Gegenwart vergänglich ist. Vergänglicher noch als die Zukunft."
Emmi schüttelte den Kopf: "Als Physikstudentin muss ich dir da leider widersprechen. Die Gegenwart währt ewig."
"So, meinst du?", fragte er und schaute sie traurig an, als wisse er von einem Geheimnis des Lebens, das sie nicht kannte.
"Vom physikalischen Standpunkt her habe ich recht", beharrte sie. "Vom philosophischen her vielleicht nicht. Aber was hat das mit deinem Fotografieren zu tun?"
"Alles", antwortete er und sie entdeckte wieder diese tiefgründige Traurigkeit in seinen Augen, die sie unheimlich und anziehend zugleich fand.
"Ich würde dich gerne so fotografieren, wie du wirklich bist", sagte er. "Nackt."
Sie schaute ihn empört an und schlug ihm leicht in die Seite.
"Hans!"
Er lächelte, mit zuckenden Mundwinkeln und reglosen Augen: "Ich meine mit nackt deine Seele."
Sie las in seinem Blick, dies war in Bezug auf Intimität ein und dasselbe.
"Ich möchte dich gerne so festhalten, wie du jetzt bist." Er legte überlegend eine Pause ein und fügte hinzu: "Du hast Recht, das ist nur die halbe Wahrheit. Ich möchte das festhalten, was ich in
dir sehe."
Er schlug die Augen nieder und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Sie entgegnete nichts weiter. Die Ahnung, was er in ihr sehen könnte, genügte ihr, es musste nicht in ausgesprochenes Wort
verwandelt werden. Sie kannte ihn seit einem Jahr, wusste wenig über ihn, obwohl sie mit wenigen Menschen tiefere Gespräche führte. Sie wusste, dass er sie deshalb mochte, weil sie keine Scheu
vor seiner andersgearteten Gedankenwelt kannte. Er beherrschte beide Spiele: Das oberflächliche Gesellschaftsspiel des Small Talk, der heiteren guten Laune und die schonungslose Offenheit, die
man gegenüber denjenigen Menschen zutage trägt, denen man nahe steht, denen man erlauben möchte, mehr zu wissen.
"Du weißt, dass ich dich vermisst habe die letzten Wochen", sagte er.
Sie nickte. Sie studierte in Heidelberg und kam nur noch selten nach Hause. Sie hatte Semesterferien. Er registrierte ihr Nicken auf seine rhetorische Frage mit einer wissenden Traurigkeit.
Wissend, dass er auch mit diesem Satz nichts würde ändern können. Er nahm die Sonnenbrille ab, als legte er seine Maske ab und teilte seine nachdenklichen Augen mit ihr. Er lächelte, ohne dass
seine Augen das Lächeln zu teilen vermochten:
"Man versucht mit Kleinigkeiten, mit wenigen, aber treffenden Worten etwas zu verändern. Vielleicht ein ganzes Leben lang."
Er hielt inne, als überlegte er, was er eigentlich sagen wollte.
"Diese Worte kann man entweder mit kleinen Samenkörnern oder mit Kreuzen auf dem Lotterietippschein vergleichen: Man erhofft sich, dass aus einer Kleinigkeit etwas Großes, Lebensveränderndes
entwächst. Meistens aber passiert gar nichts und die Dinge bleiben so, wie sie sind."
Er lehnte sich zurück und atmete tief aus, als sei eine gewaltige Spannung aus seinem Körper gewichen. Er schaute in die gelblichen Lichter und sah zu, wie die Maskierten tanzten.
"Ich weiß, dass unsere Wege längst vorbestimmt sind. Schon bevor wir uns kennengelernt haben. Sei mir nicht böse, wenn ich immer wieder mit diesen winzig kleinen Spitzen versuchen werde, dich und
mich ein Stück weit von diesem vorgezeichneten Weg abzubringen."
Sie sah ihn verwirrt an.
"Du verstehst kein Wort von dem was ich sage, nicht wahr?"
Sie lachte. "Den letzten Satz habe ich jetzt wieder verstanden."
Hans griff sich an die Stirn. Ihm war schwindelig:
"Sorry du, aber ab halb drei weiß ich selber nicht mehr, was ich rede."
Er sah sie noch einmal an: "Das ist auch so eine Sache. Man verpackt seine Botschaften in umständliche Worte, die ohnehin den Empfänger nie so erreichen, wie sie sollten. Ich wollt dir nur sagen,
dass du mir gefehlt hast."
Sie seufzte wortlos, umarmte ihn und presste ihr weiches Gesicht an seine linke Wange bis sich die schwarzen Streifen auch auf seiner Wange abzeichneten.
"Warte", sagte er und holte seine Kamera aus seiner Tasche.
Er hielt sie vor sich. Es machte "Klick". Als der Blitz aufleuchtete, sagte er leise zu sich: "Und in diesem Moment war Hans H. ein erstes Mal in diesem Jahr glücklich."
"Wie bitte?", fragte sie.
Er schüttelte den Kopf und lächelte: "Nichts von Bedeutung."
Dann fügte er hinzu: "Hast du gewusst, dass es niemals Erlösung geben wird?"
"Wie meinst du das?"
"Du wirst immer kurze Momente der Erfüllung, des glücklich sein erleben. Aber du wirst nie endgültig erlöst sein. Das Leben ist kein Rosamunde Pilcher Film."
Sie sah ihn ratlos an: "Hat das jetzt eigentlich was mit deinem Fotografieren zu tun?"
Er lächelte: "Du hast mich schon fast durchschaut."
Es wurde trotz der späten Stunde noch immer getanzt. Emmi sprang auf die Tanzfläche. Sie streckte ihm einladend die Arme aus, aber er schüttelte den Kopf, nahm stattdessen seinen Fotoapparat zur
Hand und fotografierte sie.
Er sah den jungen Leuten zu, wie sie ihre leidenschaftlichen Tänze aufführten und beobachtete Emmi, die wie ein Magnet Tanzpartner anzog, von ihnen wegtanzte, den nächsten heran tanzen ließ. Sie
sah anmutig dabei aus. Im bunten Licht blieb die Zeit stehen und er fand, es gab wahrhaftig nichts Schöneres. Er schaltete die Kamera auf den Modus "Film" und schaute ihr durch das Display zu,
wie sie die Hände in die Luft warf und sich im Kreis drehte.
Ein Mädchen setzte sich auf den frei gewordenen Platz auf der Couch. Sie blickte unverblümt auf den kleinen Bildschirm.
"Du magst sie sehr", sagte das Mädchen und, als sei er in einem intimen Moment ertappt worden, schaltete Hans ungeschickt die Kamera wieder aus.
Er drehte sich zu dem Mädchen um. Sie trug ein kariertes Hemd, bunte Leggins und einen schwarzen Pagenkopf. Ihr sommersprossiges Gesicht kam ihm bekannt vor.
"Du erkennst mich nicht", sagte sie lachend.
Hans nickte.
"Wir haben letzte Woche erst gesprochen."
"Letzte Woche?", fragte er. "Wann letzte Woche?"
"Am Freitag. An der Bar." Er schaltete seine Kamera auf "Wiedergabe" und blätterte die Fotos der letzten Woche durch. Er fand den besagten Abend und zeigte ihr ein Bild, auf dem er mit einem
blondgelockten Mädchen zu sehen war.
"Bist du das?", fragte er.
Sie lachte. "Na klar, du erkennst mich wirklich nicht?"
"Sorry, Sandra, aber mir scheint, als kennst du mich nicht", sagte er und sein Lächeln ließ die Worte weniger ernst klingen als ihre Bedeutung.
"Ich spreche nicht oft darüber, aber ich versuch es dir zu erklären."
Sandra sah ihn erschrocken an und das fröhliche Lächeln gefror ihr im Gesicht.
Ernst fuhr er fort: "Dir ist sicherlich bekannt, dass viele Europäer die Gesichter von Asiaten, Schwarzen oder anderen ethnischen Gruppen nur schwer auseinander halten können." Er sprach mit
einer warmen Stimme und Sandra rang sich ein aufmunterndes Lächeln ab. Sie hörte ihm interessiert zu.
"Seit einiger Zeit habe ich bemerkt, dass es mir immer schwerer fällt, Gesichter zu unterscheiden. So wie du dich schwer tun würdest, drei Chinesen auseinander zu halten, tu ich mir schwer,
zwischen drei Blondinen zu unterscheiden. Das geht so weit, dass ich mir selbst nicht mehr trauen kann. Ich habe schon so oft auf der Straße Fremde angesprochen, die ich für Bekannte hielt, dass
es mir bald peinlich wurde. Irgendwann hörst du einfach auf damit."
Er merkte, dass sie bedrückt zu Boden schaute und fügte hinzu: "Dich hätte ich natürlich ohne Perücke sofort erkannt. Dein Style ist einfach zu einzigartig. Obwohl du mir auch mit schwarzen
Haaren außerordentlich gut gefällst."
Sie errötete leicht. "Vielen Dank", sagte sie, harrte noch eine Weile irritiert aus, stand schließlich erleichtert auf und verschwand wieder.
Hans Aufmerksamkeit richtete sich abermals auf die Tanzenden. Seine Gedanken verloren an Schärfe und die Erkenntnisse wichen mehr und mehr Empfindungen, während er Emmi beim Tanzen
betrachtete.
Nur kurz entwichen seine Gedanken in die Parallelwelt des Träumens, er erwachte in der Realität, als sich Emmis Bruder Joe neben ihn setzte.
"Ich sag's dir, in der WG geht’s ab", sagte Joe.
Hans sah ihn aus glasigen Augen an.
"Ach?", sagte er. "Erzähl mir was Neues oder verschone meine sensiblen Ohren. Entschuldige mich, Joe, aber ich bin heute nicht mehr so aufnahmefähig wie ich es in deiner Gesellschaft sein
sollte."
"Du rauchst zu viel", sagte Joe und klopfte ihm auf die Schultern. "Aber was da drinnen abgeht, das ist so der Über - Wahnsinn, so high kannst du gar nicht sein, dass es dich nicht
interessiert."
"Na los, dann erzähl schon. Ich spitze meine Hörorgane nur für dich."
"Ich wollt nur rauf zum Phil, um mir ein Paper zu holen. Hätt wohl erst anklopfen sollen, aber wenn die nicht zusperren, sind sie selber schuld."
Hans nutzte das Stichwort, um sich von Joe eine Zigarette zu erbitten. Er zündete sie an und Joe fuhr fort:
„Ich komm also ins Zimmer und höre ein Stöhnen. Denen war es scheinbar egal, dass jemand hereingekommen ist und das Gestöhne kam von der einen Seite und gleichzeitig von der anderen Ecke des
Zimmers. Ich leuchte mit meinem Handylicht hin und Phils Kopf schaut aus der Bettdecke raus. Er grinst mich frech an und unterhalb des Bettes lugen drei Beine aus der Bettdecke hervor."
Hans zog an seiner Zigarette und nickte: "Na, das ist dann in der Tat sensationell. Phil steht ja eigentlich gar nicht auf dreibeinige Mädchen."
Joe sah ihn verständnislos an: "Du machst mir meine ganze Story kaputt, Mann. Da droben herrscht eine wilde Orgie und dich interessiert das gar nicht?"
Hans betrachtete weiter Emmi, wie sie mit geschlossenen Augen tanzte.
„Du hättest dich ja dazulegen können“, sagte Hans.
„Spinnst du?“
"Das Leben macht dir manchmal Angebote, die kannst du annehmen, oder auch abschlagen. Aber lamentier dann bitteschön in der Sekunde deines Todes nicht rum, dass du dein Leben nicht erfüllend
ausleben konntest. Ich denke jeden Tag darüber nach, was wäre wenn, wenn es - bam - morgen vorbei wäre."
"Das ist aber auch schon krankhaft", erwiderte Joe und holte eine zylinderförmig geformte, selbstgedrehte Zigarette hervor. Er zündete sie an, nahm einen tiefen Zug, verzog die Augen und sagte
mit gepresster Stimme: "Warum sagst du‘s ihr dann nicht endlich?"
Hans Gesichtszüge verloren jede Spannung und mit leicht geöffnetem Mund sah er Joe an, der in stiller Siegesgewissheit grinste.
"Wie bitte?"
Joe inhalierte tief und reichte ihm den Joint weiter.
"Mach mir nichts vor, Hansi. Ich bin weder blind noch begriffsstutzig. Ich habe deine Fotos von ihr im Internet gesehen. Du fotografierst niemanden so wie sie. Warum sagst du‘s ihr nicht
einfach?"
Hans rollte die Zigarette zwischen seinen Fingern.
"Zunächst mal, nenn mich bitte nicht Hansi. Es gibt keinen Hansi. Schon seit zehn Jahren nicht mehr. Und um deine sicher nett gemeinte Frage zu beantworten: Du hast sehr wohl richtig bemerkt,
dass deine Schwester mir lieber, viel lieber als der Rest der Welt ist. Aber da dein teuerstes Schwesterherz genau so wenig blind und begriffsstutzig ist wie ihr Bruder, brauchen in unserer Welt
manche Dinge einfach nicht ausgesprochen werden. Denn selbst wenn heute der letzte Tag meines Lebens angebrochen sein sollte, käme mir wohl kaum das Glück zuteil, dass ausgerechnet heute das
Wunder geschieht und diese seltsamste meiner Neigungen auf Gegenliebe stoßen sollte. Zudem sehe ja ich meinerseits, dass sie glücklich liiert ist und Freundschaft ist doch auch was
Wunderbares."
Er führte die Tüte zum Mund und sog sich die Wirkstoffe tief in die Lunge, bis sie in die Blutbahn Richtung Kopf gelangten.
"Ein Scheisspruch", sagte Joe. "Außerdem kann ich ihren Lover nicht ab. Ich denke eher, dass dein Problem ist, dass du dich mit deinem Dasein arrangiert hast. Lieber stillhalten und davon
träumen, dass alles doch ganz anders sein könnte, wenn nicht die Umstände wären, als sich den Korb der endgültigen Gewissheit abholen."
Hans seufzte. "Wenn du wüsstest", sagte er.
"Aber eines möchte ich dir noch sagen:", fügte Joe hinzu, "Jedesmal, wenn ich mit Emmi telefoniere, fragt sie zum Ende des Telefonats nach dir."
"Tatsächlich?", fragte Hans und lächelte. "Warum meldet sie sich dann nie bei mir?"
Joe legte die Stirn in Falten: "Das musst du sie wohl selbst fragen", sagte er und stand auf.
"Warte noch." Hans hielt ihn zurück und holte die Kamera hervor. Er schaute auf das Display, wartete einen Moment, dann drückte er ab. Zufrieden lächelnd betrachtete er die Fotografie. Es zeigte
Joe, der ihm gerade zuzwinkerte. Im Hintergrund war die mit geschlossenen Augen tanzende Emmi zu sehen.
Hans fühlte sich müde und spürte, wie die Wirkung des Joints in ihm aufging. Das Licht war nun viel heller und das Gelb war verschwunden. Weißes Licht schien auf Emmi, die unermüdlich die Hüften
bewegte und die Hände in die Luft reckte.
Die Bilder verschwammen ineinander, das weiße Licht wurde stärker und Hans sank auf die Couch zurück, als würde er von ihr aufgefressen und sah als weit, weit entfernter Zuschauer den tanzenden
jungen Leuten zu. Die Realität flimmerte und einen Augenblick lang glaubte er, Gorillas und Zebras auf zwei Beinen miteinander tanzen zu sehen. Er kniff die Augen zusammen und begriff, dass sein
Gehirn nicht mehr zwischen Masken und Wirklichkeit unterscheiden konnte. Er ließ die Illusionen in seinem Kopf zergehen und starrte mit halb geschlossenen Augen auf die bizarr tanzenden Seeräuber
und Indianer. Mit letzter Willensanstrengung griff er nach der Kamera und fotografierte den Piraten.
Als Hans die Augen aufriss, war es hell. Er erblickte ein beschlagenes Fenster. Vor dem Fenstersims lag Schnee. Er blickte sich um. Er war nicht zu Hause. Und er war nicht allein. Er hörte
rhythmisches Schnarchen. Er lag auf einer Matratze, einer von vielen Matratzen. Aus einem Bett lugte Phils Lockenschopf hervor. Es war sein Zimmer. Auf den Matratzen lagen in Schlafsäcken
Paarkonstellationen. Er konnte sich nicht erinnern, wie er hierher gekommen war. Er lag unbekleidet in einem Schlafsack. Panik befiel ihn. Er suchte nach seinem Fotoapparat. Links und rechts
lagen Hosen, T-Shirts, ein Gorillakopf, ein Cowboyhut, mehrere BHs, sein Anzug. Er griff nach dem Sakko, ertastete die Kamera. Seine Hand zitterte, hastig holte er die Kamera hervor. Er schaltete
sie auf Wiedergabe und suchte den Ordner Foto für Foto ab. Schließlich gelangte er zu dem Bild, das ihn mit Emmi zeigte. Er erinnerte sich. Die Uhr zeigte 2:31 Uhr. Es folgte eine Filmaufnahme,
auf dem nächsten Bild war ein zwinkernder Joe zu sehen, danach er selbst, leichenblass mit glasigen, halb geschlossenen Augen. Die Uhrzeit zeigte 3:57 Uhr an. Sein Herz pochte ungesund, als er
ein Bild weiter schaltete. Der Bildschirm blieb schwarz. Nur einige weiße Lichtpunkte ließen die Scheinwerfer erahnen. Der Blitz war nicht ausgelöst worden. Die Uhrzeit zeigte 4:17 Uhr. Er
schaltete auf das nächste Foto. Ein schwarzes Bild nach dem anderen erschien. 4:18, 4:18, 4:19 Uhr. Hans versuchte, sich zu erinnern. Der schwarze Fleck in seinem Gedächtnis machte ihn
panisch.
"Ist es jetzt soweit?", fragte er sich und ihm wurde schwarz vor Augen. Er konnte sich an nichts erinnern. Er starrte auf seine Kamera: 4:20 Uhr. Es war das letzte Bild auf der Speicherkarte. Das
Bild zeigte ihn lächelnd und überrascht blinzelnd, als hätte er nicht mit dem Blitz gerechnet. Ein Arm trat aus dem einen Ende des Bildes hervor, schmiegte sich um seinen Hals und endete in
seiner Hand von der sie gehalten wurde. Er konnte sich an nichts erinnern und das Grauen dieser Erkenntnis schnürte ihm die Kehle zu. Er bemerkte ein kleines Detail. Er vergrößerte das Bild. Er
sah glücklich, fast selig auf der Fotografie aus. Auf seiner Wange war der verschmierte Abdruck von schwarzen Streifen zu sehen. Die Angst fiel von ihm ab und als erinnerte sich nun sein
Unterbewusstsein, schaltete sein Herz von ängstlichem auf glückliches Pochen um. Er sprang mehrere Fotos zurück, dann wieder auf das letzte Bild. Er lächelte und sein Herz pumpte eine wohlige
Wärme durch seine Adern. Auf dem letzten Foto trug er die Streifen auf der Wange nicht rechts, wie zuvor, sondern links. Und auf dem Arm, der ihn umschlang, erkannte er ein Muttermal, das er sehr
gerne mochte. Er schnupperte an seiner Hand. Es roch nach La Femme. Sein ganzer Schlafsack roch nach La Femme. Er zog sich eine Hose über und sprang aus dem Schlafsack, rannte ans Fenster und
schaute zum Parkplatz hinunter. Er sah gerade noch Emmis gelben Fiat, der mit hohem Tempo davon fuhr.
Ende
Eine ähnliche Geschichte gibt es noch in einem völlig anderen Sound: Geschrieben im Tonfall eines Falco-Songs entstand auch noch diese Geschichte
Seit Sommer benimmt sich der 17-jährige Falko sonderbar. Er spricht und kleidet sich wie der Wiener Popstar.
Sein bester Freund Wolfgang wird wohl auch im zweiten Anlauf das Abi nicht schaffen. Als Falko von Sanitätern aus der Schule getragen wird, ahnt Wolfgang, dass nicht er es ist, der vor einem wirklich großen Problem steht: Falko hat einen Gehirntumor. Für beide beginnt das größte Jahr ihres Lebens. Zum Buch
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