
Der Gattenmord von Pirach war eines der spektakulärsten und meistdiskutierten Verbrechen in unserer Region. Monatelang sorgte der Weiler Pirach in der Gemeinde Kirchanschöring überregional für Schlagzeilen und die Presse der Weimarer Republik stürzten sich sensationslüstern auf den Mord am Pirachbauern und die sich nach und nach herauskristallisierenden Umstände.
Das Mord-Drama vom Waginger See 1923

Heute ist das ganze Ausmaß der Geschichte nur noch wenigen bekannt. Auch, weil die noch lebenden Nachkommen verständlicherweise wenig Interesse daran haben, die tragischen Umstände in Erinnerung zu halten. Da es sich dennoch um ein inzwischen historisches Ereignis handelt und der Pirach-Bauer Ferdinand Schwangler aus heutiger Sicht nicht das einzige tragische Opfer war, wird hier der Versuch unternommen eine modernere, weniger reißerische Sicht auf die Ereignisse zu erarbeiten.
Im Mittelpunkt des Dramas stand die 29-jährige Bäuerin des wohlhabenden Pirach-Anwesens, Anna Schwangler. Am Morgen des 10. September 1923 fand man sie in heller Aufregung, da ihr Mann Ferdinand am Vorabend nicht mehr nach Hause zurückgekehrt war. Sie erklärte, dass sie Ferdinand, der an besagtem Abend mit dem Rad unterwegs war, noch ein Stück weit von Lampoding nach Wolkersdorf begleitet hatte. Kurz nachdem sie umgekehrt war um den Heimweg nach Pirach anzutreten, habe sie mehrere Schüsse gehört – sich aber nichts weiter dabei gedacht.
Ein Dorf im Ausnahmezustand: Der Mord von Pirach
In der folgenden Suchaktion wurde schließlich Ferdinand Schwangler samt seinem Fahrrad tot im Waginger See gefunden – ausgeraubt und erschossen. Der brutale Raubmord verbreitete sich wie ein Lauffeuer rund um den Waginger See.
Die ganze Region blickte voller Mitgefühl auf das schlimme Schicksal der Anna Schwangler, als sie ihren ermordeten Ehemann zu Grabe tragen musste. Der Trauergemeinde blieb allerdings nicht verborgen, dass sich die Sargträger Alois Kugler, und dessen Bruder Bartholomäus sehr auffällig verhielten. Als sie den Sarg zum offenen Grab trugen, rann ihnen der Schweiß in Strömen herab, wie sich manch Kirchanschöringer Jahrzehnte später noch erinnerte. Ein anwesender Ermittler schöpfte Verdacht, dass die beiden Sargträger nicht nur aufgrund der Anstrengung so schwitzten.
Die Ermittlungen der Polizei konzentrierten sich mehr und mehr auf die Witwe Anna Schwangler selbst. Und auf ihr Umfeld, zu dem auch die Kugler Brüder gehörten. Es war kein großes Geheimnis im Ort, dass Anna Schwangler ein lockeres Verhältnis zu vielen Männern hatte, was im katholischen Bayern an sich schon ein schwerwiegender Vorwurf war.
Aktueller Liebhaber war der Sohn vom Binder-Hof vom Reschberg, Alois Kugler. Beide hatten sich versprochen, zu heiraten. Das Problem war, dass Anna Schwangler verheiratet war. Folglich wurden Pläne geschmiedet, wie es gelingen könnte, den Ehemann loszuwerden.
Dies machte Anna Schwangler zur Hauptverdächtigen. Noch im Oktober 1923 wurde sie verhaftet. Ihr wurde vorgeworfen, den Mord an ihrem Mann angeordnet und heimtückisch eingefädelt zu haben.
Ein falscher Verdächtiger: Das tragische Intermezzo des Sebastian Horner

Die Frage war nun: Wer hatte den brutalen Mord an Ferdinand Schwangler ausgeführt? War es die schwarze Witwe selbst, oder hatte sie einen Handlanger? Neben Schwangler wurde auch der Edhauser Sohn Sebastian Horner aus Tettenhausen verhaftet. Er gehörte zu den Männern, denen ein Verhältnis mit ihr nachgesagt wurde. Zudem war Horner bereits polizeibekannt. Vor einigen Jahren hatte der Pettinger Pfarrer den Unmut eines wohlhabenden Gemeindemitglieds auf sich gezogen, da er in der Predigt dessen Beziehung mit einer 18-jährigen angeprangert hatte. Dieser plante Rache indem er Horner dafür bezahlte, dem Pfarrer einen Schreck einzujagen. Des Nachts hatte sich Horner zum Pfarrhof in Reichersdorf geschlichen und mit einer Pistole zwei Mal durchs Fenster ins Haus geschossen. Horner hatte zwar niemanden gefährdet und die Strafe abgebüßt, fand sich nun aber im Pirach-Mord als Hauptverdächtiger im Gefängnis. Seine Unschuld stand aber rasch fest und er musste wieder freigelassen werden. Horner verließ nach dieser für ihn demütigenden Verhaftung seine Heimat und ging nach München.
Die Hintergründe des Gattenmords
Die Frage blieb offen, wer für Anna Schwangler den Mord ausgeübt hatte. Bald kam ans Licht, dass sie bereits mehrere Versuche unternommen hatte, Ehemann, den sie nicht liebte, aus dem Weg zu schaffen. So hatte sie den Knechten angeordnet, die Stiere im Stall loszubinden, in der Hoffnung, dass diese ihren Mann niedertrampelten. Einige Wochen vor der Tat hatte sie außerdem einen Wilderer angesprochen ob er ihren Ehemann „aus dem Weg räumen“ könne.
Die neuen Erkenntnisse sorgten nicht nur im Ort für große Empörung. Als sich nun herumsprach, dass die Bäuerin, deren Ruf schon zuvor eher zweifelhaft war und deren Reichtum von vielen geneidet wurde, ihren Mann hatte ermorden lassen, brach unter der Bevölkerung die Hölle los. Ein konnte gerade noch an der Lynchjustiz verhindert werden. Die Presse nahm die Erzählung der grausamen reichen Witwe und des herzensguten armen Mordopfers dankend an.
Das Interesse der Presse an der Tat wuchs noch ehr, als die grausamen Details des Mordes bekannt wurden. Die Obduktion ergab drei Schusswunden im Kopf des Opfers, eine Fraktur am Schädel – und Wasser in der Lunge. Todesursache war letztendlich das Ertrinken im Waginger See.
Das gesamte Ausmaß des Komplotts und die nicht minder tragischen Hintergründe traten schließlich bei der Gerichtsverhandlung Ende Januar 1924 in Traunstein zutage. Zwei Tage lang wurde der Fall im Amtsgericht unter großer Anteilnahme der Bevölkerung aufgerollt. Anna Schwangler, so stellte sich heraus, war von ihrem Vater zu der unglücklichen Ehe gezwungen worden. Da Ferdinand Schwangler der Vater ihrer Tochter war, bestand der Vater auf die Heirat – andernfalls würde sie den Hof nicht erben. Doch Anna wollte buchstäblich mit jedem anderen Menn zusammensein, nur nicht mit Ferdinand Schwangler. In Tettenhausen erzählte man sich, dass Anna Schwangler noch auf dem Weg zur Trauung einen anderen Mann – scherzhaft – oder auch nicht fragte, ob nicht lieber er sie heiraten wolle.
Der Kugler Alois vom Binderbauern hätte sie gerne geheiratet. Und den Segen der seiner Mutter hatten die beiden bereits. Das Gericht vermutete, dass es letztendlich sogar die Idee der Binder-Mutter Margarete Kugler gewesen war, den störenden Pirach-Bauern aus dem Weg zu schaffen. Anna Schwangler, das ergaben die Ermittlungen, kaufte sich schließlich beim Bäcker in Tittmoning eine Pistole und überredete ihren Mann zu einer Radtour. Sie lockte ihn in einen Wald zwischen Lampoding und Wolkersdorf, wo ihr Liebhaber Alois und dessen Bruder Bartholomäus bereits lauerten.
Obwohl Barthl Kugler seinen Bruder noch zu beschwichtigen versuchte: „Lass es, Alois“, wich dieser seinem Bruder nicht von der Seite. Alois Kugler schoss den Nebenbuhler mit mehreren Schüssen vom Rad. Da Ferdinand Schwangler noch lebte, schlug er ihm auf den Kopf. In dem Glauben, dass der Bauer nun tot sei, wickelten sie ihn in ein Bettlaken und transportierten die vermeintliche Leiche auf seinem Rad zum Waginger See. Ohne zu ahnen, dass Schwangler noch lebte, versenkten sie ihn samt Fahrrad im See, wo er schließlich ertrank.
Die tragische Geschichte der Anna Schwangler
Was die Presse nur in Nebensätzen erwähnte war allerdings das traurige Schicksal der Anna Schwangler, die zu der unfassbaren Tat geführt hatte. Ihr Anwalt Dr. Merkenschlager, der spätere Traunsteiner Bürgermeister, verwies auf die traumatische Kindheit der Anna Schwangler. Ihre Mutter war geisteskrank. Und, noch schwerwiegender, sie war vom Vater missbraucht worden.
Doch so sehr Merkenschlager auf mildernde Umstände plädierte, das Gericht war von der Heimtücke der Tat überzeugt. Der Richter verurteilte nicht nur Alois Kugler, sondern auch Anna Schwangler wegen Mordes zum Tode. Bartholomäus Kugler erhielt 3 Jahre, seine Mutter 8 Jahre Zuchthaus.
Einige Wochen später wurden die Todesurteile gegen Alois und Anna in lebenslange Haft umgewandelt.
Was in den vielen noch heute erhaltenen Zeitungsartikeln von vor über hundert Jahren unerwähnt bleibt ist, dass Anna Schwangler ein Mensch war, dem im Leben übel mitgespielt wurde. 25 Jahre büßte sie im Zuchthaus ihre Strafe ab. Nach dem Weltkrieg wurde sie begnadigt und sie kehrte nach Hause zurück. Oft sah man sie im Gottesdienst in Tettenhausen. Ganz hinten versteckte sie sich. Auch als die Kirchengänger sie nach vorne, in ihre Mitte baten, lehnte sie ab. „Ich gehöre nicht mehr zu euch“, sagte sie und betete still für sich im Dunkeln.
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Obermayer (Samstag, 29 März 2025 10:03)
Zum Mord vom Waginger See wurde der Artikel von Bernhard Straßer überhaupt mit denn Hinterbliebenen abgesprochen zum Beispiel Bildmaterial wird verwendet was nicht von damals Stammt