Nikolo Bumbum, der Nikolo geht um. An einem Nachmittag im Kindergarten irgendwann Mitte der Achtziger Jahre saßen wir Jungs an einem kleinen Tisch und sangen so laut wir konnten: „Lustig, lustig, Trallalala! Bald ist Nikolausabend da!“, und zwar sogar sehr bald. Es war ein fünfter Dezember. In Bayern kommt der Nikolaus nämlich schon am Vorabend seines eigentlichen Ehrentages.
Dementsprechend aufgeregt und ausgelassen war die Stimmung in unserer Kindergartengruppe. Eine große Klappe hatten wir. Nicht nur gesangsmäßig. Vor dem Kramperl hatte natürlich keiner Angst. Und der Nikolaus würde in seinem Sack die aller tollsten Geschenke bringen. Die Kindergärtnerin kannte uns ihrerseits gut genug. Als es nach den lautstarken Nikolaus-Gesängen wieder etwas ruhiger war, murmelte sie grinsend: „Na, da bin ich gespannt, ob Ihr heute Abend dem Nikolaus auch so begeistert die Lieder vorsingt.“
Vier Stunden später. Es ist längst dunkel draußen. Gerade ist ein Auto vorgefahren und Stimmen sind draußen zu hören. Ich kauere mit meiner Schwester unter dem Tisch versteckt. Völlig verängstigt. Nikolo Bumbum, der Nikolo geht um. Oh Graus, oh Graus, gleich kommt der strenge Nikolaus letztendlich auch in unser Haus. Jaja, nachdem ich mir im Kindergarten etwas zu viel Mut angesungen hatte, war ich daheim etwas zu übermütig und frech gewesen. Je näher der Nikolausabend rückte, desto klarer wurde die Gefahr, dass nicht nur der brave Mann mit den Geschenken, sondern eben auch der Krampus kommen würde. Und vor dem hatten wir wirklich, wirklich Schiss. Als also klar war, dass der Nikolaus unser Haus dieses Jahr wieder nicht ausließ und jeden Moment läuten würde, versteckten wir uns also unter dem Tisch.
Nikolo und Kramperl früher
Aber es half nichts. Meine Eltern öffneten dem fremden Mann fahrlässig die Tür und ließen ihn ins Haus. Erst als die Mama versprach, dass der Krampus draußen warten würde, krochen wir eingeschüchtert aus unserem Versteck hervor.
Ich kann mich nicht mehr an viele Nikolausabende erinnern. Aber ich weiß noch ganz genau, dass wir vor dem Nikolaus fast genauso viel Angst hatten, wie vor dem Krampus. Warum? Eigentlich ganz logisch. Wenn da ein Fremder daherkommt, der ausschaut wie eine Mischung aus Papst und Weihnachtsmann und dann auch noch ein goldenes Buch dabei hat, in dem die intimsten Geheimnisse von uns Kindern drinstehen, dann ist das schon sehr gruselig. Unsere Eltern waren zwar so pädagogisch, dass sie den Krampus meistens draußen warten ließen. Sie ahnten aber nicht, dass wir vor dem Krampus nicht recht viel mehr Angst hatten, als vor dem gruseligen Nikolaus. Der Krampus unserer Kindheit sah nämlich gar nicht unheimlich aus. Der trug ein Fell und auf dem Kopf eine schwarze Maske mit herausgeschnittenen Öffnungen für Augen und Mund. Unter dem Mund baumelte eine rote Stoffzunge, die so albern aussah, dass wir beim Anblick des Krampus meistens sogar lachen mussten.
Die Prozedur mit dem Nikolaus war immer ein großer Nervenkitzel. Erst las er uns aus dem Goldenen Buch Dinge vor, die wir wirklich getan hatten. Woher wusste der Typ das? Manchmal nutzten wir den Nikolausbesuch, um ihm beispielsweise den Schnuller, also den Diezi zu überreichen. Und somit symbolisch die Nuckelphase unseres Lebens offiziell zu beenden. Auch bekamen wir stets konkrete Aufgaben. Wir sollten untereinander nicht mehr so viel streiten. Der Mama beim Aufräumen helfen. Nicht ganz so laut im Kindergarten herauszuschreien und so Sachen. Der Nikolaus schaute uns dann streng an und wir versprachen artig, dass wir uns brav daran halten würden. Im Jahr darauf schließlich wieder derselbe Tadel, die gleichen Versprechungen, das altbekannte Spiel. Der Nikolaus war zwar ein unheimlicher Geselle, aber wenigstens hatte er jedes Jahr tatsächlich Geschenke dabei. Und wenn er endlich bei der Tür wieder hinaus war, freuten wir uns sogar richtig, dass er da gewesen war.
Wer ist der Nikolaus eigentlich wirklich?
Zehn Jahre später spielte der Nikolaus immer noch eine wichtige Rolle. Diesmal aber eine überraschend andere. Nun wusste ich, dass der Nikolaus Hansi hieß und recht trinkfest war. Anders als sein Krampus. Der Nikolaus, besser gesagt, die Nikoläuse, wurden im Dorf nämlich von der Katholischen Landjugend organisiert. Die Mitglieder Landjugend warfen sich ihre Krampuskostüme über. Und da es im Dorf offensichtlich nicht genug Leute gab, die Trinken UND aus Goldenen Büchern vorlesen gleichzeitig konnten, mussten talentierte junge Männer aus den Nachbardörfern ran. Die Nikoläuse und ihre Krampus wurden in ganz normalen VW Golfs und BMWs durch das Dorf gefahren. Selber wären sie nicht nur wegen der Kostüme nur schwer fahrtüchtig gewesen. Denn in Bayern war es damals üblich, dass Gäste, die nach Anbruch der Dunkelheit kamen, gerne mit einem Stamperl Schnaps begrüßt wurden. Vor allem, wenn es sich um prominente Gäste wie den Heiligen Nikolaus handelte. Dem Nikolaus selbst machte das nichts aus, der hatte vorher schon öfter geübt, den hauten so 10, 15 Besuche mit Schnapserl nicht um. Nicht unproblematisch war aber seine nicht ganz so heilige Begleitung. Hätten meine Schwester und ich damals geahnt, dass in den Kostümen angetrunkene sechzehnjährige Jungs steckten, hätten wir nicht nur über die lustige lange Zunge gelacht und uns schon gleich gar nicht unter dem Tisch versteckt. Nun, zehn Jahre später, wusste ich nicht nur, welcher Krampus mit welchem Nikolaus unterwegs war. Ich erfuhr auch am nächsten Tag, welche Malheure wieder passiert waren und ab welchem Hausbesuch der Heilige Nikolaus zu lallen begonnen hatte.
In Bayern kommt der Nikolaus am 5. Dezember
Viel, viel schlimmer erging es den armen Kramperln, die teilweise bisher noch keinen Kontakt zu den Spezialitäten illegaler Kellerbrennereien rund ums Dorf gemacht hatten. Erst jetzt begriff ich, dass die teils ausladende Motorik der Krampusse weniger eine drohende Gestik darstellen sollte, sondern einfach dem Kampf der Stamperl gestählten Kramperl gegen die Schwerkraft geschuldet war. Das vermeintliche Knurren und Fauchen vom Krampus war in Wirklichkeit nichts anderes als ein Jammern und Stöhnen eines sechzehnjährigen, der sich jeden Moment das erste Mal im Vollrausch würde übergeben müssen. Und so kam es dann auch. Zum Glück nicht in der feierlichen Bauersstube, sondern erst im Auto des Heiligen Nikolaus. Groß war mit fortgeschrittenem Nikolausabend schließlich der Katzenjammer im Pfarrheim, wenn die torkelnden, völlig besoffenen Krampusse ihre angespiebenen Kostüme auszogen und darauf warteten, von ihren Eltern wieder abgeholt zu werden. Ob die ihnen die Leviten lasen, weiß ich allerdings nicht mehr. Denn immerhin waren die Jungs ja im Namen des Heiligen Nikolaus unterwegs gewesen. Und wer will es sich da schon herausnehmen, Kritik daran zu nehmen, wenn die Kinder mit vollem Einsatz bayerisches Brauchtum pflegten?
So oder so war der Nikolaustag auch Jahre nach der Pubertät noch ein aufregender Tag, den so manche junge Leute im Dorf nie wieder vergessen sollten.
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