"Nur zu Besuch" ist eine tiefgründige Kurzgeschichte, die durch ihre klare Sprache und kindliche Perspektive beeindruckt. Die Themen Freundschaft, familiäre Konflikte und Nahtoderfahrung werden auf subtile und berührende Weise behandelt, was die Geschichte zu einer hervorragenden Wahl für die Analyse und Diskussion im Unterricht macht. Die offene Struktur und die mystischen Elemente bieten reichlich Stoff für Interpretationen und regen dazu an, über die tiefere Bedeutung von Leben, Tod und zwischenmenschlichen Beziehungen nachzudenken.
Diese Kurzgeschichte kannst Du auch ausdrucken. Die pdf-Version findest Du ganz unten.
"Nur zu Besuch" ist eine tiefgründige Kurzgeschichte, die durch ihre klare Sprache und kindliche Perspektive beeindruckt. Die Themen Freundschaft, familiäre Konflikte und Nahtoderfahrung werden auf subtile und berührende Weise behandelt, was die Geschichte zu einer hervorragenden Wahl für die Analyse und Diskussion im Unterricht macht. Die offene Struktur und die mystischen Elemente bieten reichlich Stoff für Interpretationen und regen dazu an, über die tiefere Bedeutung von Leben, Tod und zwischenmenschlichen Beziehungen nachzudenken.
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Jannek war mein Freund. Wir haben beide im selben Haus gewohnt, als ich noch klein war - ich im zweiten Stock und er im Erdgeschoss. Im Winter kam er manchmal zu uns hoch, weil wir eine große Wohnung hatten. Im Sommer durfte ich, wenn es meine Eltern erlaubten, bei Jannek spielen, weil er einen kleinen Garten hatte. Er hatte einen Sandkasten und eine Schaukel. Was er nicht hatte, war ein Papa. Natürlich wusste ich, dass das nicht stimmen konnte. Wie sich später herausstellte, hatte er sehr wohl einen Papa, aber ich habe immer nur die Mama gesehen.
Jannek war zwei Jahre jünger als ich, aber er konnte schon das ABC-Lied und bis zehn zählen. Er spielte meistens allein. Vom Balkon aus schaute ich manchmal runter und sah ihm beim Spielen zu. Meine Mutter erlaubte mir meistens nicht, mit Jannek zu spielen. Mein Vater und Janneks Mutter hatten sich mal wegen eines Parkplatzes und einer Mülltonne oder so gestritten und beide behaupteten, der andere lüge. Seitdem durfte ich nicht mehr runter zu Jannek. Mein Vater hatte tagelang geschimpft, dass "so eine Person", wie er Janneks Mutter nannte, sich ihm gegenüber so aufführen würde. Meine Mutter erklärte mir dann, dass Jannek in eine andere Stadt ziehen würde und ich ihn dann nicht mehr sehen könnte.
Aber das stimmte nicht. Es kam zwar immer wieder ein Umzugswagen, aber mal wurden die Möbel ein-, dann wieder ausgepackt. Und Jannek spielte immer noch unten im Garten und sang das ABC-Lied, und ich durfte nicht mitspielen. Dann kamen die Nachbarskinder, die vorher in Janneks Wohnung waren, zu Besuch. Unsere Eltern haben dann ganz ernst über Janneks Mutter geredet, von Klagen und Gericht und immer wieder ging es um Geld. Obwohl der Kuchen lecker war, war es kein schöner Nachmittag.
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Jannek hat sich dann neue Freunde gesucht, weil ich ja nicht mehr zu ihm durfte. Er spielte jetzt mit einem Mädchen, das ich nicht kannte. Das Mädchen wohnte unten am Fluss und hatte auch keinen Papa, und ihre Mama passte oft auf Jannek auf. Das stand später alles in der Zeitung und außerdem hat wochenlang keiner über etwas anderes geredet.
An einem der allerschönsten Herbsttage spielten Jannek und das Mädchen unten am Fluss. Es war schon Abend und die größeren Kinder mussten bereits alle zu Hause sein. Die beiden spielten allein am Ufer, als Jannek plötzlich ins Wasser fiel und seine Winterjacke sich sofort mit Wasser vollsog. Die Strömung riss ihn mit sich und das Mädchen holte sofort die Mutter. Als sie zurückkamen, war Jannek jedoch bereits ein Teil des Flusses geworden.
Sie schrien und liefen dem Körper hinterher, der auf dem Wasser trieb, aber der Fluss war schneller. Das Stück Treibholz mit der aufgeblähten Winterjacke trieb entlang der idyllischen Uferpromenade in der Abendsonne, jedoch bemerkten es keine der Spaziergänger oder Jogger. Über die Stromschnellen unter der Eisenbahnbrücke trieb es und über scharfkantige Felsbrocken im Wasser hinweg zurück in tiefere Gewässer. Es trieb vorbei an den Sportanlagen und heraus aus der Stadt.
Schließlich war es ein Radfahrer, der schneller als der Fluss war und das schwere Kleidungsbündel ans Ufer hievte.
Er barg ein totes Kind. Notärzte, Sanitäter und Feuerwehrleute beugten sich über den leblosen Körper des Kindes und kämpften verzweifelt, um es wiederzubeleben. Doch es war zu spät, das Kind war tot. Die Männer, die um das Kind herumstanden, waren wütend und hektisch und versuchten, den Tod nicht zu akzeptieren. Sie pumpten das Wasser aus den Lungen und gaben dem Herz Energie, in der Hoffnung, dass es wieder schlagen würde.
Am nächsten Abend sah ich Janneks Mutter am Flussufer stehen, wo das Unglück passiert war. Sie sah ausdruckslos aus und ihre Haare schienen grau geworden zu sein. Sie bemerkte uns nicht.
Als ich Jannek im Krankenhaus besuchte, sah er aus wie ein Fremder, umgeben von piepsenden Geräten. Meine Mutter sagte, ich solle mich von ihm verabschieden, da er wahrscheinlich nicht überleben würde. Selbst wenn er überlebte, würde er nie wieder das ABC-Lied singen können, sagte sie. Ich versuchte, nicht zu weinen.
Als Jannek einen Monat später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte er Pflaster im Gesicht, aber die Schläuche waren weg. Er lachte und begrüßte uns, als wäre er nie fort gewesen. Meine Mutter sprach von einem Wunder und war oft sprachlos, wenn sie darüber nachdachte.
Als Jannek am Abend das ABC-Lied sang, wusste ich noch nicht, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Er durfte nicht mehr bei seiner Mutter wohnen und musste zu seinem Vater ziehen.
Ein Jahr später sprach ich mit dem Mädchen, mit dem Jannek am Fluss gespielt hatte. Sie sagte mir, dass Jannek in einer Klinik war und die toten Menschen besuchte. Sie sagte nicht, ob es ihm gut ging oder nicht, aber sie versprach, dass er bald wieder herauskommen würde.
Ende
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