Um die kleine Ortschaft Kühnhausen, zwischen Petting und Kirchstein idyllisch am Waginger See gelegen, ranken sich seit jeher nahezu unglaubliche Anekdoten und Legenden. So soll sich dort während des Kriegsendes Deutschlands berühmteste Schauspielerin aufgehalten haben. Anlass genug, einige der noch lebenden Zeitzeugen zu befragen. Dabei kamen neben den ohnehin schon hochinteressanten Geschichten weitere persönliche Erinnerungen hinzu, die heute unglaublich klingen, für die Weltkriegsgeneration allerdings Alltag waren. Gleichzeitig taten sich noch mehr Fragen auf, als beantwortet werden konnten. Deshalb hoffen wir, den „Oral History“-Diskurs mit neuen Hinweisen der Leserinnen und Leser fortführen zu können.
Diese Geschichte über Kühnhausen soll mit dem Bau vom „Haus Kitz“ beginnen, das bis heute als „Haus Steffen“ bekannt ist. Hans Kitz, Jahrgang 1897, war ursprünglich Bankier aus Berlin. Durch seine hervorragenden Kontakte zu Heinrich Himmler machte er eine steile Karriere bei der SS. Kitz erwarb ein idyllisches Grundstück in Kühnhausen direkt am Ufer des Waginger Sees und ließ sich dort von der Baufirma Straßer aus Kirchanschöring ein Haus bauen. In der Bevölkerung war es kein Geheimnis, dass im Haus Kitz ein „hohes Tier“ der Nazis wohnte.
Hans Kitz hatte als Bankier auch Verbindungen zur Filmgesellschaft UFA. Es ist allerdings nicht bekannt, ob diese Verbindung ausschlaggebend war, dass sich zwei der damals bekanntesten Schauspielerinnen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nach Kühnhausen flüchteten. Auch ist unklar, ob es sich um einen Zufall handelt, dass gleich drei der Künstler, die auf der „Gottbegnadeten-Liste“ des Propagandaministers Joseph Goebbels gelistet waren, nicht weit voneinander am Nordufer des Waginger Sees lebten. Darunter der Dirigent Eugen Jochum, der sich in Wolkersdorf sein persönliches Refugium geschaffen hatte. Und im nahen Kühnhausen fand die Schauspielerin Mady Rahl, UFA-Star und bekannt geworden im Film „Truxa“, beim „Hotzn“ Schutz vor den Bomben in den Städten. Mit der Bombardierung Berchtesgadens musste auch ihre nicht minder bekannte Kollegin Magda Schneider mit ihren Kindern flüchten. Magda Schneider, die sich gerade von ihrem Mann Wolf Albach-Retty scheiden ließ, war in Begleitung ihrer Kinder, dem vierjährigen Wolf-Dieter und der siebenjährigen „Rosemarie Magdalena Albach“. Filmkenner wissen natürlich sofort, dass es sich bei diesem Mädchen um die später international berühmte Sissi-Schauspielerin Romy Schneider handelt.
Ihre kurze Schulzeit in Kirchstein war auch der Ausgangspunkt dieser Recherche. Obwohl sich viele, die mit ihr damals die Schulbank drückten, wie der dieses Jahr leider verstorbene Alfons Zehentner, gut an sie erinnerten, war das Wissen um Romy Schneiders Zeit in Kühnhausen und Kirchstein verloren gegangen. Auch in offiziellen Biografien fanden sich keine Hinweise. Es gab sogar Zweifel, ob Romy Schneider tatsächlich in Kirchstein in die Schule gegangen war, oder ob es sich nur um Wunschdenken der damaligen Schulbuben gehandelt hatte. Einer der Zeitzeugen, Gisbert Schmelzle, konnte von mehreren Romy Schneider-Anekdoten berichten. Und letztendlich war es Ludwig Haas, in dessen Haus die Familie damals untergekommen war, der zweifelsfrei belegen konnte, dass die Schneiders in seinem Elternhaus untergebracht waren: Im alten Gästebuch bedankte sich Magda Schneider bei „Frau Berta“ mit einer persönlichen Autogrammkarte für alles.
Gisbert Schmelzle musste damals ebenfalls mit seinen Eltern vor den Bomben aufs Land flüchten und wohnte in der Roth. Auch er ging in Kirchstein in die Schule und erklärt, dass damals die Jahrgangsstufen 1-4 gemeinsam in einem einzigen Klassenzimmer unterrichtet wurden. Schmelzle, der bis heute jährlich als Campinggast nach Kühnhausen zurückkehrt, erinnert sich an einige Romy-Schneider-Anekdoten. So passierte es ihm, dass er Romy Schneider beim Spielen im Waginger See versehentlich mit Sand beworfen hatte. Von ihrer Mutter setzte es dafür ein paar Maulschellen. Mady Rahl hatte die Szene beobachtet und ihm zum Trost einen Apfel geschenkt.
Wie nah der Krieg kam, konnte man auch von Kühnhausen aus sehen. Als Freilassing bombardiert wurde, glühte der gesamte Himmel im Süden feuerrot. In den letzten Kriegstagen waren auf der Straße nach Petting überall Panzersperren aufgebaut, alle Bäume waren angesägt, um den Vormarsch der Amerikaner zu stoppen. Die vor den Amerikanern flüchtenden deutschen Soldaten warfen alles, was sie als Deutsche oder SS’ler kennzeichnete, im Wald weg. Was für die Kinder damals besonders interessant war, weil sie alles wieder aufsammelten. Das war einerseits gefährlich, andererseits auch lukrativ, da die Amerikaner später alles, worauf ein Hakenkreuz abgebildet war, begeistert aufkauften.
In Kühnhausen lebte Ludwig Haas direkt unter einem Dach mit Romy Schneider, der sich sehr intensiv an die letzten Kriegstage und die Zeit danach erinnert. Auch ihm war bekannt, dass im Nachbarhaus ein hochrangiger Nazi wohnte. Einmal warf er auf Höhe des Gasthauses Kühnhausen einen Stein auf den Wagen vom SS-Hauptmann Kitz. Der bremste quietschend ab und mehrere SS-Leute verfolgten den flüchtenden Jungen mit gezückter Waffe in die Wirtsstube. Als in einer langen Kolonne die Amerikaner auch nach Kühnhausen kamen, wollten diese ihr Quartier zunächst beim Haas einrichten. Magda Schneider sprach Englisch und bewirkte sofort, dass sie lieber das Haus des SS'lers wenige Meter weiter beschlagnahmen sollten. Was sie auch taten. Ludwig Haas profitierte indirekt davon. Seine Mutter wurde ebenfalls „beschlagnahmt“ und zwar als Köchin. Die Haas hatten ab diesem Zeitpunkt immer genug zu essen. Auch in Kühnhausen bekamen die Kinder von den Amerikanern Kaugummi und Ludwig Haas erinnert sich, wie er mit Romy Schneider Kaugummi kauend vor dem Haus saß.
Das einschneidendste Erlebnis hatte er allerdings wenige Tage vor Kriegsende, als der sogenannte Todesmarsch der Häftlinge aus den aufgelösten KZs auch durch Petting getrieben wurde. Als sich herumsprach, dass die KZler bald Petting erreichten, brachen einige Kinder auf, um sich das genauer anzuschauen. Ludwig Haas wurde Zeitzeuge, wie verzweifelte Häftlinge versuchten, etwas zu trinken zu bekommen und geschlagen wurden. Die Kinder folgten heimlich den Zug Richtung Gesselberg hinauf. Sie hörten einen Schuss und als sie, neugierig wie Kinder sind, in Richtung des Schusses liefen, stießen sie auf einen Toten im Laub. Auch das Strandbad Kühnhausen wurde bald von den Amerikanern besetzt. Gisbert Schmelzle berichtet von einer Anekdote, wie die Amerikaner dort mit ihren Panzern in den See fuhren, um diese zu waschen. Sehr zum Missfallen von Mady Rahl, die sich beim Sonnenbad vom Panzerlärm gestört fühlte. Mit ihrem Charme gelang es ihr, die Amerikaner zu überreden, die Panzerwäsche an einer anderen Stelle durchzuführen. Es wird erzählt, dass sie dazu den sich ebenfalls sonnenden amerikanischen Offizier am Bein packte, von der Decke wegzog und mit einer Goebbels-Imitation so unterhielt, dass er ihrem Wunsch nachgab.
Mit dem Ende des Krieges blieben allerdings die Sorgen. Nahrung war knapp. Viele der Evakuierten kehrten zum Wiederaufbau in die Städte zurück. Auch Gisbert Schmelzle musste die bayerische Idylle verlassen, da seine Familie nach Mannheim weiterzog. Ab und an kamen Päckchen aus der Roth mit frischen Lebensmitteln. Einmal kam ein Brief aus Bayern mit dem Hinweis: „Wir haben eine halbe Sau.“ In einer Zeit, in der Essen Mangelware war, lohnte es sich für die Mutter, unter großem Risiko mit dem Zug nach Bayern zu fahren und die Kiste mit der Schweinshälfte zurück nach Mannheim zu schmuggeln. Bis 1947 wurde die Familie in Mannheim von der Roth aus immer wieder mit Lebensmitteln versorgt. Einmal wurden sie von einem Uniformierten am Bahnhof kontrolliert und ließen vor Schreck die Kiste mit 200 Eiern fallen. Der Beamte drückte aber ein beziehungsweise beide Augen zu.
Auch die prominenten Schauspielerinnen verließen Kühnhausen wieder. Romy Schneider begann als „Sissi“ in den 50er Jahren ihre Weltkarriere. Und Mady Rahl war später als Synchronsprecherin tätig. Ihre Stimme kennen noch heute viele, die ihre Kindheit in den Achtziger Jahren erlebten: Sie sprach unter anderem die Wildgans Akka in „Nils Holgersson“ und die Herzkönigin in „Alice im Wunderland“.
Nach Magda und Romy Schneider bot der Haas-Hof von Kühnhausen noch weiteren Flüchtlingen Unterkunft. Darunter die Sudetendeutsche Siegfriede Schneider. Sie leitete später die Grundschule Kirchanschöring und wurde als Heimatkundlerin mehrfach ausgezeichnet.
Im Haus Kitz kamen nach dem Abzug der Amerikaner Kriegsflüchtlinge unter. Und so sollte es auch Jahrzehnte später unter dem neuen Namen „Haus Steffen“ bleiben. Eine weitere Person namens Schneider verbrachte später ebenfalls einige Zeit in Kühnhausen und wurde möglicherweise nicht so berühmt wie Romy Schneider, wollte aber Bauer werden. Diese nicht weniger interessanten Geschichten sollen jedoch an anderer Stelle erzählt werden.
Vielen herzlichen Dank an Florian Stadler, Gisbert Schmelzle und Ludwig Haas für die Mithilfe an diesem faszinierenden Stück Heimatgeschichte