Der erste Teil der Geschichte über die Entstehung der legendären Chiemgauer Superbands wie LaBrassBanda und Django 3000. Alle Beiträge kannst Du hier nachlesen.
Übersicht - Die Geschichte der Chiemgauer Bands
Sportfreunde Stiller in der Mole
Donnerstag, 20.11.1997. Im Traunsteiner Mole Club versammelt sich die Chiemgauer Musikszene.
Eine Zeitenwende liegt in der Luft. Der Grunge, der bisher die einflussreichste Musikströmung war, ist gerade dabei, der Hamburger Schule zu weichen. Man trägt Adidas Trainingsjacken, die langen Haare auf mittellang gestutzt und seitengescheitelt. Am liebsten hört man Tocotronic, die Sterne und Blumfeld, gerne auch Heinz aus Wien.
Clubbetreiber Boris Mitterwieser, seit jeher mit einem musikalischen Riecher für ausgestattet, hat einen Geheimtipp gebucht.
Boris Mitterwieser entstammt einer traditionsreichen Traunsteiner Kneipierfamilie. Mutter Babsi betreibt den Freiberger in der Unterstadt, einer der ältesten Musikbars der Stadt.
Seit einiger Zeit führt er den Mole Club, oder Club Mole, einen versteckten Keller am Karl –Theodorplatz: Dunkles, verrauchtes Flair, Neonlampen. An der Wand steht der Spruch "Ich mag Hunde lieber als Katzen und Katzen lieber als Menschen".
Boris hat im Sommer ein großes „Rock gegen Rechts“ Konzert veranstaltet und setzte auf damals ungewöhnliche Pop-Rockbands mit deutschen Texten. Darunter Wheelhouse Pane, die sich im selben Jahr noch in "Die Springer" umbenennen. (Sänger und Bassist Günter Wimmer erklärte damals: Deutsche Texte erfordern einen deutscher Bandnamen. Negativbeispiel: Element of Crime. Super Musik, deutsche Texte, aber kein Erfolg. Das wollen wir anders machen.)
Ebenfalls als Lokalmatador in beim „Rock gegen Rechts“ dabei: Eat a peach. Die Traunsteiner setzen auf Skapunk, englische Texte und, damals ebenfalls ungewöhnlich, auf Bläser.
Und als Headliner eine Band, die auch heute in der Mole auftreten wird: Drei Jungs aus Germering und Schrobenhausen, deren Musik ein fröhliches bayerisches Gegenstück zur verkopften Hamburger Schule eingeschlagen hat: Stiller. Stiller hat gerade eine EP herausgebracht und der Song "Wunderbare Jahre" wurde die letzten Monate durch Eat a peach, die ihn auf jedem ihrer Live-Konzerte covern, im Chiemgau bekannt gemacht.
Die Mole ist gerammelt voll und alles wartet auf die Band. Es sind viele Musiker da. Auch die Jungs von Gentscha, die ihrerseits eine bayerische Version der Hamburger Schule erfunden haben und einige Jahre als Kultband durch die Region touren. An der Bar ist Günter Wimmer zu sehen, er hofft gerade auf einen Plattenvertrag, die Springer sind die populärste Band im Chiemgau. Wimmer hätte auch Profifußballer werden können, hat in Burgausen unter anderem mit Helmut Würz gespielt, auch er wird bald in der Musikszene eine Rolle spielen. Wimmer ist dabei, in eine WG mit Mak T. zu ziehen. Der war jahrelang legendärer DJ im Überseer Roots Club, dem exklusiven Club, der nur in den Wintermonaten geöffnet hatte und vor dem sich stundenlang Schlangen bildeten, um abgefahrene Indiebands und die besten alternativen Party DJs zu hören. Andi Auer, DJ Ndee ist einer von ihnen.
Der Chiemgau bietet einige feste Partygrößen, die am Wochenende legendäre Nächte versprechen. Das Libella in Altenmarkt gehört dazu, die Stiege in Trostberg und es ist geplant, in der leeren Panzerhalle gigantische Partys zu veranstalten.
Traunstein ist eine Schulstadt und die angehenden Abiturienten zieht es am Wochenende in die Clubs. Auch heute sind Schüler der FOS in der Mole. Ein lustiger Jahrgang. In die elfte Klasse gehen zwei musikalische Talente, Stefan Dettl und Florian Starflinger. Beide sind im Sozialzweig. Noch ahnt niemand, dass auch sie bald auf großen Bühnen stehen werden.
Die Stimmung in der Mole ist fröhlich. Alle warten auf die Band. Nach einer Weile erscheinen Bassist Rüde und Schlagzeuger Flo. Sie treten ans Mikrofon, sie wirken gut gelaunt, aber verunsichert. Etwas stimmt nicht. Schließlich erklären sie, dass Peter, der Sänger, mit Grippe im Bett liegt. Sie grinsen. Ihre Wortwahl ist witzig, sie haben offensichtlich auf Boris Kosten die eine oder andere Halbe getrunken. Flo erklärt, dass sie das Konzert eigentlich abgesagt hätten. Aber wenn die Mole Bock hat, würden sie trotzdem spielen. Wer braucht schon einen Sänger!
Das Publikum ist hoch motiviert, jubelt und pfeift.
Eines der schrägsten Konzerte der deutschen Popgeschichte beginnt.
Rüde und Flo schrammeln runter, was das Zeug hält. Aber ohne Gesang ist ihr punkiger Sound nicht viel mehr als ambitionierter Krach. Die beiden müssen selbst über ihren Gig immer wieder laut lachen. Sie machen das beste aus der Situation und unterhalten sich zwischen den Instrumentalversionen von „Kleines Geheimnis“ und „Keine Lobby“ mit dem Publikum. „Flo, wie spricht man euch eigentlich aus? Schtiller oder Sstiller", fragt einer. Der raunzt beleidigt ins Mikrofon: "Nur Preußen und Österreicher sagen Sstiller!" Jahre später wird man die Band nur noch "Sportfreunde" nennen.
Nach einigen Songs ist klar, es funktionier so nicht. Ihre EP heißt „Macht doch was ihr wollt, ich geh jetzt!“ Aber Stiller bleiben. Ein Kassettenrekorder wird besorgt und vom Band läuft „In all den wunderbaren Jahren“, die beiden hauen dazu in ihre Instrumente. Die Mole tobt, Synchronizität egal. Rüde lacht: "Bei uns wird definitiv kein Playback verwendet."
Die wunderbaren Jahre werden ein Jahr später noch ein bundesweiter Hit. Stiller muss sich aus namensrechtlichen Gründen in Sportfreunde Stiller umbenennen und die Sportfreunde werden die kommenden Jahre zu Chartslieblingen. Sie werden noch einmal in die Mole kommen, diesmal zu dritt. Und ein gewisser Helmut Würz wird sie, als sie bereits Superstars sind, in seinen Club Metropolitain locken. Aber in Erinnerung wird vor allem der Zweimann-Gig in der Mole bleiben. Noch 15 Jahre später fragte Rüde eine Salzburger Zeitung, ob das Konzert auch heute noch zu der Top 10 der legendärsten Konzerte aller Zeiten in Traunstein gehört. Mit Sicherheit war dieser Auftritt ebenso legendär wie inzwischen der Club Mole.
Zur selben Zeit trat übrigens in Traunstein ein zweiter „Sportsfreund“ in Erscheinung: Im Haus der Jugend performte ein erstes Mal die Hip Hop Formation Sportsfreund mit ihrem blutjungen Rapper Florian Kreier. Deutsche Hip Hop Texte im Chiemgau, das ist neu. Bis sie überregional angesagt sind, wird es noch zehn Jahre dauern. Und auch der Texter und Musiker Florian Kreier wird noch von Hören lassen und sich in München als Szenegröße einen Namen machen.
Noch ist die Chiemgauer Musikszene Zuschauer beim Durchbruch großartiger Bands, aber die Szenemacher haben bereits eine feine Nase für die kommenden großen Strömungen in deutschsprachiger Musik.
Hier geht's weiter zum zweiten Teil: Die Chiemgauer Bands Anfang 2000
Viele der Geschichten rund um die legendären 2000er Jahre in Traunstein kannst du im Popliteratur-Roman "Kleinstadtrebellen" nachlesen. Zum Buch
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Sportfreunde Stiller in der Mole
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JYupWMLW (Montag, 27 November 2023 12:31)
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