Kinder zu haben ist das größte Glück der Welt. Ja, schon recht. Ist es natürlich. Und trotzdem fühlt es sich an manchen Abenden an, als hätte sich ein einst ambitioniertes, glückliches Leben in eine täglich wiederkehrende Farce des Scheiterns verwandelt. Sind die Kinder erst einmal größer, wird es schon leichter werden, redet man sich ein. Und grinst verunsichert, wenn andere Eltern behaupten: „Es wird nie mehr leichter. Es wird halt anders.“ Heute wissen wir, wie recht sie haben. Ein Leidensbericht.
Die Morgen beginnen mit einer durchkämpften Nacht. Die Hoffnung, dass die Kinder eines Tages im eigenen Bett schlafen, hat sich nicht erfüllt. Jeden Tag liegt ein anderes Kind neben uns. Wenn wir Glück haben, nur eines. Sind es zwei, haben uns die Kämpfe um Raum und Bettdecke bereits so ausgezehrt, dass wir uns, als der Wecker klingelt, übermüdet am liebsten wieder ins Bett legen wollen. Aber da liegen wir ja schon.
Also mit militärischer Disziplin aufgestanden und in strenger Arbeitsteilung die Aufgaben des Morgens in Angriff genommen: Einer richtet Kaffee und Frühstückstisch her, während der andere den Kampf mit den Kinder aufnimmt. Der Größere zieht sich gottlob bereits selbständig an und macht auch keine Zicken, Zähne zu putzen. Aber der Kleine… Frage nicht nach Sonnenschein. Er verweigert es, sich anzuziehen. Er besteht darauf, im Schlafanzug zu frühstücken. Und Zähneputzen wird sowieso überbewertet. Da unser Kleiner morgens maximal zwei „Nein“ aushält, ohne einen epischen Wutanfall zu bekommen, wagen wir es (noch) nicht, ihn anzuziehen.
Parallel wurde ein wundervoller Frühstückstisch vorbereitet. Der Kleine sitzt, im Pyjama und frech grinsend, bereits auf dem einzigen großen Barhocker. Und er hat sich, weil er der erste unten war, den goldenen Trink-Pokal gesichert. Der Papa, der gerade Butterbrote schmiert, ahnt noch nichts von seinem Fauxpaux. Kind 2 betritt, fertig angezogen und gewaschen die Küche. Er mustert kurz den Raum und erfasst sofort die Lage. In wimmernden, schrillen Tönen beginnt das Geschrei: „Der Loni hat den großen Stuhl UND den goldenen Pokal! Das ist soooo unfair! Und er hat immer noch den Schlafanzug an!“ Loni kontert trotzig: „Nein!“ Innerhalb von Sekunden verwandelt sich eine ohnehin bereits angespannte Morgenidylle in ein Schlachtfeld des Schreiens und Heulens.
Dem Papa gelingt in letzter Sekunde ein salomonisches Urteil: Der Loni bekommt den goldenen Pokal und der Bastian darf sich auf den großen Hocker sitzen. Puh, kurz durchatmen. Dann werden die Butterbrote verteilt. Loni starrt fassungslos auf das vorgesetzte Brot. Seine Lippen beginnen zu zittern: „Ich mag keine Butter! Ich mag nur Frischkäse!“, schreit er und bricht in Tränen aus. Der Weinkrampf bezüglich der Schlechtigkeit der Welt verwandelt sich in den Zorn Gottes und kurz darauf bebt ein Wutausbruch durch das Haus, wie man es seit langem nicht gehört hat. (Seit ca. 24 Stunden, um genau zu sein).
Es ist längst nach sieben, die Kinder müssten bereits im Auto sitzen, sitzen aber noch immer, teils im Schlafanzug, lamentierend in der Küche. Jetzt pressiert es. Während der Große bald fix und fertig, mit dem Schulranzen am Rücken startklar wartet, wird der Kleine durch bitten, drohen, zwingen in seine Kleidung komplimentiert. Immer wieder wir das Haus durch ein donnerndes „Nein!“ erschüttert. Die Nachbarn kennen das bereits. Ich rede von den Nachbarn am Ende der Straße.
Endlich, endlich sind bald alle Kinder abgegeben und wir Eltern können uns einige süße Stunden in der Arbeit erholen.
Am Nachmittag geht es aber schon wieder weiter. Während Kind 1 Hausaufgaben zu machen hat, nutzt Kind 2 jede Möglichkeit, dies zu boykottieren. „Der Bastian hat meine Stifte gestohlen!“ „Aber das sind doch Bastians Stifte.“ „Ich will aber auch Stifte haben!“ „Hier hast du Stifte. Jetzt kannst du was malen.“ „Nein!“ „Was nein?“ „Ich kann nicht!“ „Aber du kannst doch malen!“ „Nein! Ich mag nicht!“ Kind 1 lauschst vergnügt den Diskussionen und bemüht sich seinerseits, die Hausaufgaben schludrig und lückenhaft zu absolvieren. Der Papa ist gleichzeitig immer noch damit beschäftigt, das immer wütender werdende Kind 2 zu beruhigen und versäumt es, das Hausaufgaben-Fiasko von Kind 1 anständig zu überwachen.
Wenn anschließend nicht der Fahrerei-Wahnsinn zum Fußball, zum Flötenspielen oder zum Musikgarten beginnt, beharren die Kinder auf 24/7 Unterhaltungsprogramm. Gut, ab und an spielen sie inzwischen schon mal eine halbe Stunde gemeinsam im Spielekeller. Man kann gleichzeitig die Uhr danach stellen, bis von unten anschwellendes Geschrei nach oben dringt, das mit schrillem Gekreische endet. Oder mit einer Kleinkinder-Keilerei.
Aber die kleinen Widrigkeiten des Alltags sind schnell vergessen, wenn die Vorzeigefamilie idyllisch beim gemeinsamen Abendessen im Esszimmer zusammensitzt. Man stellt sich dann so Kerzenlicht vor und Kinder, die mit leuchtenden Augen von ihrem Tag erzählen und „Danke“ und „Bitte“ sagen, wenn sie von den Eltern die hervorragenden Speisen gereicht bekommen. In der Realität sitzen wir seit Monaten nur noch an der Küchentheke, weil der Boden dort sowieso geputzt werden muss. Statt „Danke“ und „Bitte“ schreien die Kinder in herrischem Ton: „Wasser!“ und „Gabel!!!“ und würgen das ayurvedisch zubereitete Mahl geräuschvoll aus, wenn es ihnen nicht mundet. Die Nudeln landen auf dem Boden. Und wenn das Kind Glück hat, liegen dort noch Pommes vom Vortag, die sofort aufgehoben und verputzt werden. Die Chance, dass alle vier Familienmitglieder gleichzeitig zu Tisch sitzen, sinkt gegen Null, da ständig jemand neue Gläser, Getränke oder Teller holen muss. Gleichzeitig steigt der Lärmpegel ins Unermessliche. Zwar werden keine Tischanekdoten zum Besten gegeben, dafür überbieten sich die Jungen darin, zu rülpsen, lustig klingende Worte wie „Popo“ und „Pups“ vor sich her zu schreien und ab und an die mit am Tisch sitzende Alexa aufzufordern, „Ding Dong“ von EAV zu spielen.
Am frühen Abend sieht es in der Küche so aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Jetzt müssen nur noch die Kinder umgezogen werden, Lesen geübt, Flöte geübt, Gutenachtgeschichten vorgelesen, Brotzeit hergerichtet werden und dann hat man ja noch immer genügend Zeit, um die Küche sauber zu machen.
Hat man Glück, ist zwischen Acht und Halb Neun oben Ruhe und die Eltern haben noch knappe zwei Stunden Zeit, den Rest des Haushalts zu erledigen, oder kurz Mensch zu sein.
Ausgeklammert habe ich bei diesem Erfahrungsbericht – viele haben es gleich bemerkt – dass in vielen Fällen mindestens ein Elternteil auch noch berufstätig ist. Wenn jemand Tipps hat, wie man das Elterndasein bewältigt und gleichzeitig noch im Büro arbeiten, Schriftsteller oder Yogalehrer sein kann, der darf sich gerne bei mir melden!