Warum hat mir eigentlich nie jemand gesagt, dass ich in der Print-Ausgabe der “Hallo Nachbar” so einen roten Schädel auf habe? Vielleicht sollte ich auch in echt wieder etwas ruhiger und gelassener werden. Aber noch nicht heute. Denn heute muss ich noch über einen mysteriösen Vorgang schreiben, der sich auch in hochroten Schädeln mal mehr, mal weniger abspielt: Das Denken.
Cogito ergo sum, wie der Altbayer sagt. Ich denke, also bin ich ich. Und meine Gedanken werden zu Worten, Worte zu Taten, diese zu Gewohnheiten und so formt sich letztendlich der Charakter, heißt es. Trotzdem oder gerade deswegen kriege ich seit einigen Jahren einen hochroten Schädel, wenn sich auf Demos, in Leserbriefen oder Kolumnen jemand auf seinen “gesunden Menschenverstand” beruft. Die jüngste Erfahrung lehrt, dass ebenjene, die vorgeben, diesen zu benutzen, meist Meinungen und Thesen folgen lassen, von denen sich mein persönlicher, subjektiver Menschenverstand aufs ärgste getriggert fühlt. Wie kann das sein, dass unterschiedliche Menschenverstände, alle gesund, so kontrovers auf unseren gemeinsamen Alltag blicken können? Mir selbst fehlt das Hirnschmalz, dies befriedigend beantworten zu können. Aber der Nobelpreisträger Kahnemann hat herausgefunden, dass Denken nicht gleich Denken ist: Er beschreibt, dass in unserem Hirn ein “System 1” arbeitet, das intuitiv, mühelos denkt. Das nach Bestätigung für all das sucht, was in unser Weltbild passt. System 2 ist das anstrengende Denken, bei dem eben jenes Hirnschmalz gefordert wird. Da es dem Körper jede Menge Energie abverlangt, versucht unser Gehirn, “System 2” möglichst selten zu aktivieren. Es wehrt sich sozusagen mit Händen und Füßen dagegen. Das erklärt, warum selbst die geistigsten Tiefflieger sich auf ihren “gesunden Menschenverstand” berufen können. Und recht haben! Sie haben sich halt auf das gesunde Funktionieren von Kahnemanns “System 1” verlassen. Dass man dadurch nicht gegen Intelligenzintoleranz gefeit ist, das kapieren die Nutzer von gut durchbluteten, gerade im “System 2” arbeitenden Gehirnen recht rasch. Wer jetzt immer noch überzeugt ist, dass ein gesunder Menschenverstand allein ausreicht, um einfache Lösungen für komplexe Problemlagen anzupreisen, dem möchte ich noch ein Einstein-Zitat mit auf den Weg geben: “Der gesunde Menschenverstand ist nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat.” Denkt mal darüber (mit System 2) nach!
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